Ein würdevoller Abschied vom Leben

Die 22 Ärzte von Home Care versorgen Krebspatienten, damit diese in gewohnter Umgebung zu Hause sterben können und nicht ins Krankenhaus müssen. Damit schließen sie eine Lücke in der Versorgung von todkranken Menschen

Seit 1994 versorgt Home Care todkranke Menschen. Doch jedes Jahr wird neu über die Finanzierung verhandelt

Bis zum letzten Atemzug zu Hause leben zu können, auch wenn man schwer krank ist: So stellen sich viele Menschen ein Sterben in Würde vor. Ermöglicht wird es nur wenigen: Als einziger palliativmedizinischer Dienst in Berlin versorgt der gemeinnützige Verein „Home Care Berlin“ Tumorpatienten ambulant und ermöglicht ihnen ein schmerzfreies Sterben daheim. Von den 8.000 Berlinern, die jährlich an Krebs sterben, behandelt Home Care 1.800 zu Hause und in Hospizen.

Stephan Putz ist einer von 22 Home-Care-Ärzten. An diesem Tag besucht er sieben Kranke. Manche sieht er täglich, andere alle zwei Tage. Etwa Gertrud Müller*, die an Lungenkrebs leidet. Die 72-Jährige lebt alleine in ihrer Wohnung im Wedding. Als Putz das Wohnzimmer betritt, holt die alte Dame tief Luft und setzt sich auf. Über einen dünnen Schlauch in ihrer Nase atmet sie Sauerstoff ein. „Wenn nur die Übelkeit nicht wäre“, antwortet sie dem Arzt auf dessen Frage, wie sie sich fühle. „47 Jahre habe ich hart gearbeitet, und jetzt das“, sagt sie.

Fragend schaut sie ihren Besuch an. Nichts könne sie zu sich nehmen. Das Essen schmecke ihr nicht mehr. Ob das mit dem Morphin zu tun habe, fragt sie Putz. „Nein“, antwortetet der Arzt: Ein Pilz, den ihr Immunsystem nicht mehr abwehren kann, verderbe ihr den Geschmack. Einige Tabletten hat er parat, die schnell helfen sollen.

Schon stark geschwächt, benötigt Frau Müller eine vitaminreiche Infusion, um bei Kräften zu bleiben. Der Arzt sticht ihr mit einer Nadel in die Hand. Dann plaudern beide über alte Zeiten. Zuhören, auch emotionale Zuwendung, das gehört mit zu seinem Dienst. Anschließend klebt er gegen die Schmerzen ein Pflaster, aus dem das Morphin in den Körper sickert.

Ohne Home Care müsste Frau Müller im Krankenhaus sterben. „Gerade mal 30 Prozent der niedergelassenen Ärzte verschreiben Morphin, das selbst die stärksten Schmerzen besänftigen kann“, erläutert Putz. Manche zögerten, es zu verabreichen, weil sie schwere Nebenwirkungen fürchteten: Übelkeit, Schwindel und Erbrechen. „Aber diese anfänglichen Nebenwirkungen lassen sich schnell beheben“, sagt der Mediziner.

Seit 1994 schließt Home Care eine Lücke in der Versorgung von Todkranken. Als Modellprojekt finanziert, muss jedes Jahr aufs Neue über den Fortbestand verhandelt werden, um eine an den Bedürfnissen der Patienten orientierte Sterbebegleitung zu ermöglichen. Mindestens eine halbe Stunde dauert ein Hausbesuch. Daraus können auch schon mal zwei werden. So viel Zeit muss sein, so der Grundsatz von Home Care. Putz und seine Kollegen sind 24 Stunden am Tag erreichbar. Um schnell die Schmerzen zu lindern, zu trösten und zu ermutigen. Auch wenn es für alle seine Patienten verdammt schwer ist, sterben zu müssen. JÖRG BRAUSE

* Name geändert

Infos: www.homecareberlin.de