Vom Witz zum Gerücht

Wie der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer mal von der „Bild“-Zeitung zum Professor erklärt und in die USA abgeschoben werden sollte – und was tatsächlich dran ist

von ARNO FRANK

Joschka Fischer: „Sind wir etwa schon in Amerika, Gerd?“Gerhard Schröder: „Halt’s Maul und schwimm weiter!“ (tazzwei-Cartoon 2004)

Es war ein Witz, zugegeben. Er wolle nicht „den Opa aus der Muppetshow machen, der von der Zuschauerbühne nur noch hämische Kommentare gibt“, hatte Joschka Fischer mit Blick auf die Zeit nach seinem inzwischen eingetretenen Amtsverlust verlautbaren lassen – was allgemein als Absichtserklärung verstanden wurde, sich weiterhin in das politische Tagesgeschehen einmischen zu wollen. Aber die Unterstellung, der feine Herr Fischer werde flugs die Zuschauertribüne verlassen, um sich nach einem anderen, noch wichtigeren Theater umzuschauen, nach einer Rolle auf der Weltbühne, die den engen Rahmen deutscher Provinz sprengt? Ein Witz.

Aber ein Witz, der tragfähig genug ist, fast alle Ressentiments zu transportieren, die sich seitens der politischen Gegner des ehemaligen Außenministers so angehäuft haben dürften mit den Jahren – wenn man ihn nur als Wahrheit ausgib. Wie fix ein Expolitiker, eben noch als kämpferischer Retter seiner Partei gefeiert, als raffgieriger Gazprom-Prinz sein Restrenommee verspielen kann, hat schließlich schon das Beispiel Gerhard Schröder deutlich gemacht.

Wäre also gelacht, wenn sich aus einem zum Gerücht geronnenen Witz nicht politisches Kapital schlagen ließe, etwa so: „Schon gehört? Joschka Fischer wandert aus! Er geht mit seiner Ehefrau Minu nach Amerika und plant eine neue Karriere!“

Genau so trompetete es gestern Deutschlands meistverkaufte Boulevardzeitung heraus, um auf der zweiten Seite genau aufzudröseln, was man an dieser völlig unbewiesenen Behauptung alles empörend finden kann: Im „politischen Kommentar“ wurde der schändliche Umstand bedauert, dass deutsche Expolitiker „ihre Zukunft im Ausland“ suchten, nicht hierzulande. So sind sie eben, unsere linken Vaterlandsverräter.

Darüber hinaus wurde die scheinheilige Frage aufgeworfen, ob „wir“ uns einen solchen „brain drain“ politischer Kompetenz überhaupt leisten könnten. Die Antwort: „Nein, die Erfahrung ehemaliger Spitzenpolitiker gehört zu den Rohstoffen, die wir nicht verschleudern sollten.“

Diese hübsche Vorstellung von Joschka Fischer als sich selbst verschleudernder Rohstoff ergänzte Bild mit dem üblichen Bildungsdünkel: „Er, der das Gymnasium schmiss, gerade mal den Hauptschul-Abschluss schaffte, wird Gast-Professor an der berühmten Elite-Uni Harvard.“ Skandal! Wenn der das darf, dann kann sich wohl auch Hinz, Kunz oder – wie gestern geschehen – das kolumnierende Irrlicht Franz Josef Wagner „Professor“ nennen.

Wir sehen: Diese Geschichte hat alles, was eine gute Bild-Geschichte braucht. Von der allgemeinen Aufregung ließen sich gestern sogar prominente Grüne anstecken (siehe Kasten).

Ausgerechnet Omid Nouripour, 30, der in den Bundestag nachrücken würde, sollte Fischer sein Mandat abgeben, blieb gelassen: „Was er mit seinem Mandat macht, ist seine Sache, das sagt auch die Verfassung.“ Und: „Ich glaube erst mal nicht, was in der Bild-Zeitung steht.“

Also: Nein, Joschka Fischer hat kein Angebot von Harvard angenommen. Er hat, um genau zu sein, überhaupt keine „Angebote“ aus den USA – sondern sich, wie wir aus gut unterrichteter Quelle wissen, persönlich um verschiedene Gastprofessuren bemüht. Nein, für eine Gastprofessur in Princeton muss man nicht gleich nach Amerika ziehen. Für einen Job als UNO-Generalsekretär allerdings schon …