„Die FDP ist unsere stärkste Konkurrenz“

Müssen die Grünen wieder stärker nach links rücken, um neben Linkspartei und FDP als Opposition erkennbar zu sein? Werner Schulz meint: Nein! Auf der Klausurtagung seiner Partei wirbt er für die Idee einer „konstruktiven Opposition“

taz: Herr Schulz, von den Grünen ist in der Opposition derzeit wenig zu sehen. Auf ihrer Klausurtagung ist das sicherlich ein Thema. Muss die Partei ihr linkes Profil schärfen?

Werner Schulz: Etliche Grüne reden derzeit von der modernen linken Partei. Das klingt zwar gut, greift aber zu kurz, weil es nicht unser gesamtes politisches Profil beschreibt. Unsere Bandbreite ist größer.

Inwiefern?

Es ist doch so: Von unserem ökologischen Programm her sind wir wertkonservativ. Bei den Freiheitsrechten und Fragen der Integration sind wir liberal, und was Fragen der sozialen Gerechtigkeit, die Chancen-, Geschlechter- und Generationsgerechtigkeit anbelangt, da sind wir modern links. Der Begriff bündnisgrün besagt: Wir sind offen für Reform- und Sachbündnisse.

Das klingt nach Beliebigkeit. Braucht man in der Opposition nicht ein klares und eindeutiges Profil, um erkennbar zu bleiben?

Ein breites Themenspektrum hat doch nichts mit Beliebigkeit zu tun! Zu Inhalten haben wir klare Positionen. Aber die Partei darf sich nicht in dieses Schwarz-Weiß-Schema von Links und Rechts einordnen lassen.

Die Grünen sollten keine Krawall-Opposition sein, sondern konstruktive und kreative Opposition, die nicht jedes Vorhaben abblockt, nur weil es von der Regierung kommt. Das sollte unser Anspruch sein – es ist auch der Wunsch der grünen Wähler.

Während FDP und Linkspartei einen Untersuchungsausschuss zur CIA-Affäre fordern, müssen die Grünen erst einmal überlegen, ob sie eventuell Ende Januar darüber beraten. Verstehen Sie das unter „konstruktiver Opposition“?

In diesem Fall wünsche ich mir eine klare Opposition. Auch unser eigener Anteil in dieser Sache darf uns nicht davon abhalten, für Aufklärung einzutreten.

Mit konstruktiver Opposition meine ich etwa, dass die Grünen den derzeitigen außenpolitischen Kurs mittragen sollten: Die Einigung der EU über den Haushalt war eine überzeugende Leistung von Frau Merkel. Und ihre Haltung gegenüber den USA in puncto Menschenrechte hätte ich mir früher von Rot-Grün gewünscht.

Auf der einen Seite profiliert sich die FDP als Menschenrechtspartei, auf der anderen Seite übernimmt die Linkspartei traditionell grüne Themen wie Geschlechter- und Umweltpolitik. Wie vermeiden es die Grünen, zwischen diesen beiden Polen zerrieben zu werden?

Die Linkspartei mag inzwischen eine Frauenquote und die Umweltpolitik entdeckt haben, aber die wichtigen Posten besetzen doch immer noch Männer …

was bei den Grünen mit Joschka Fischer ähnlich war.

Das müssen Sie mir nicht sagen. Aber jetzt haben wir die Chance, das zu ändern. Bei der Linkspartei hingegen kommen bald die älteren Herren der WASG hinzu – mal sehen, wie offen die für moderne linke Themen abseits des Sieges über den Kapitalismus sind.

Die FDP ist derzeit eine stärkere Konkurrenz für uns. Mich hat sehr überrascht, wie sehr sie sich für das Thema Menschenrechte stark gemacht haben. Auf diesem Gebiet dürfen wir uns nicht das Wasser abgraben lassen – die Grünen haben dort in der Vergangenheit einige Schrammen abbekommen.

Wegen Schröders Vorliebe für autoritäre Regime wie Russland oder China?

So würde ich es nicht nennen. Aber wir haben uns bei Themen wie Tschetschenien nicht konsequent verhalten. Dennoch glaube ich nicht, dass die FDP dauerhaft zulegt. Ihr Einsatz für mehr Freiheit deckt nur den kleineren Teil des Parteiprogramms ab. Auf diese Weise packen die Freidemokraten ihren rigorosen Neoliberalismus in Watte.

Im Osten sind die Liberalen stärker als die Grünen.

Das liegt auf der Hand. Schließlich ist die Ost-FDP ein Zusammenschluss aus drei Parteien – zwei Blockparteien und einer Neugründung. Seitdem verlieren die Liberalen im Osten konsequent, auch wegen ihres neoliberalen Programms. Die Grünen wachsen, wenn auch langsam.

Die Grünen sehen sich als eher staatsferne Partei. So weit entfernt sind sie damit doch gar nicht vom Ideal des schlanken Staats bei den Freidemokraten.

Das mag sein. Aber die Grünen-Wähler wissen, dass es Menschen gibt, denen es weniger gut geht als ihnen. Wir sind eine Partei mit sozialem Engagement. Diesen Aspekt sollten wir stärken, auch im Wettstreit mit der Linkspartei.

Also sollen die Grünen doch linker werden?

Soziales Engagement ist nicht ausschließlich links – denken Sie nur an Seehofer oder Geißler!

INTERVIEW: DANIEL SCHULZ