Blair sagt Ruhestörern den Kampf an

Der britische Regierungschef will mit Zwangsmaßnahmen gegen antisoziales Verhalten vorgehen

DUBLIN taz ■ Tony Blair hat antisozialem Verhalten den Kampf angesagt. Der britische Premierminister stellte am Dienstag in London seinen „Aktionsplan für Respekt“ vor – abgekürzt „RAP“. Kernpunkte des Programms sind neue Beratungsstellen für Familien mit aggressiven Kindern, Kürzung der Sozialhilfe bei antisozialem Verhalten, Benimmunterricht in Schulen, Zwangsteilnahme an Rehabilitierungskursen und vorübergehende Verbannung aus der eigenen Wohnung.

Zu antisozialem Verhalten zählen Lärmbelästigung, Vandalismus, das Verstreuen von Müll sowie Graffitisprayen. Ein neues Gesetz stellt es unter Strafe, Jugendlichen unter 16 Farbspraydosen zu verkaufen. Kneipen und öffentliche Einrichtungen können von der Polizei geschlossen werden, wenn von ihnen ständig Belästigungen ausgehen. Eine landesweit einheitliche Rufnummer soll eingerichtet werden, unter der Störenfriede angezeigt werden können. Außerdem soll eine nationale Akademie für Kindererziehung eingerichtet werden, an der Sozialarbeiter und Psychologen für den Umgang mit entsprechenden Fällen geschult werden sollen.

Besonders umstritten ist der Plan, antisoziale Familien bis zu drei Monate aus ihren Wohnungen zu verbannen. In dieser Zeit sollen sie in Zentren untergebracht werden, wo sie rund um die Uhr intensiv betreut und überwacht werden. Im schottischen Dundee gibt es seit zwei Jahren bereits ein Pilotprojekt, das angeblich eine Erfolgsrate von 84 Prozent aufweisen kann.

Das Zentrum bietet Platz für fünf Familien. Sie leben dort im Durchschnitt für ein Jahr in eigenen Wohnungen, müssen aber täglich an Kursen teilnehmen, wo ihnen Haushaltsführung, Kochen, Nähen, Beherrschung der Wut, Lesen und Schreiben beigebracht werden. Ein Sozialarbeiter besucht die Familie viermal am Tag. Er überprüft zum Beispiel morgens, ob die Kinder aufgestanden sind und das Frühstück fertig ist. Abends kontrolliert er, ob eine gesunde Mahlzeit auf dem Tisch steht.

Voraussetzung für einen Platz in dem Zentrum ist, dass mindestens ein Familienmitglied wegen antisozialem Verhalten auffällig geworden ist und dass die Familie keine Wohnung hat. Am Ende des Kurses gibt es eine Urkunde und eine neue Wohnung. Das Projekt in Dundee ist freiwillig. Blair will es jetzt landesweit zur Zwangsmaßnahme machen. Bis Jahresende sollen 50 solcher Zentren betriebsbereit sein. 80 Millionen Pfund sollen dafür in den nächsten zwei Jahren bereitgestellt werden.

In seiner Rede, in der er das Programm vorstellte, sagte Blair am Dienstag, er halte das Strafrechtssystem für „vollkommen nutzlos“, wenn es darum gehe, die Öffentlichkeit vor Störenfrieden zu schützen, weil es sich mehr um die Rechte der Täter kümmere als um den Schutz der Opfer. „In der Praxis wird jemand, der eine alte Dame auf ihrem Weg zum Einkauf bespuckt, nicht strafverfolgt, weil das zu viele Polizeistunden in Anspruch nehmen würde“, sagte Blair. „Das Ergebnis wäre ohnehin nur eine Geldstrafe. Die Polizei glaubt nicht, dass es das wert ist, und unternimmt deshalb nichts.“ Da das bestehende System zu schwerfällig sei, müsse die Beweislast umgekehrt werden, findet der Premierminister. Wenn ein Jugendlicher also beispielsweise nachts mit tausend Pfund in der Tasche erwischt wird, muss er beweisen, dass er sie nicht gestohlen hat.

Bob Reitemeier, Geschäftsführer der Kinderrechtsorganisation „Children’s Society“, bezeichnete den Aktionsplan als „Cocktail bereits bestehender Programme, gemischt mit Schocktaktiken“. Er sagte: „Wenn die Regierung mehr Respekt von jungen Leuten fordert, muss sie auch ihnen und ihren Rechten mehr Respekt zeigen.“

RALF SOTSCHECK