TAGEBUCH EINER WOCHENENDAKTIVEN: PERLEN DER EVENT-KULTUR

VON PIA FRANKENBERG

Es gibt gelebte Albträume, die sehr lange Erholungsphasen erfordern. Einer davon ist, im ausverkauften Zug stundenlang mit einem kirchentagbeseelten, dauersingenden tansanisch-friesischen Chor eingesperrt zu sein. Dann wird der Zug umgeleitet und hat zwei Stunden Verspätung. Nach so was hilft nur noch ein ganzes Wochenende lang schlampen, schlafen, schlechtes Fernsehen!

Zu früh gefreut! Freunde drängen sanft auf Teilnahme an ausgesuchten Freizeitaktivitäten. Es besteht doch Interesse an Architektur? Wie wäre es, sich mal das „Goya“ von innen anzuschauen, das ehemalige „Theater am Nollendorfplatz“, späteres „Metropol“, Schöneberger Architekturdenkmal und seit 2010 „Event-Location“? Verschwommene Bilder eines Konzerts in den späten Achtzigern steigen aus Erinnerungsnebeln. War man da nicht schon mal …?

Egal, wir leben im Heute, und da wird es mehr und mehr Sitte, wochenends, statt sich im Bett, Park oder Eiscafé zu fläzen, kulturelle Selbstverbesserungsarbeit zu leisten. Die Sonne scheint frühlingsmild, am Treffpunkt hat sich ein buntes, ein wenig müde wirkendes Trüppchen versammelt, als sei es dort, nach dreißigjähriger Wanderung direkt von der ersten Antiatomkraftdemo kommend, eingetroffen. Eine gebäudekundige Dame stimmt übers Mikrofon auf den Besuch ein, von der Schulter baumelt ein Lautsprecherkasten, aus dem historische Grundinformationen in alle Himmelsrichtungen schallen.

Drinnen warten die Perlen der Event-Architektur. Ein mäßig erhaltenes Kaiserzimmer, Jägermeister Lounge mit Hirschgeweih, lila strahlende Murano-Leuchter, Emporen, geschwungen wie Sahne Baisers. Die Exzesse der Postmoderne wirken dagegen geradezu mutlos.

Derweil tappen ergraute Kulturhungrige unaufgefordert über durchgerostete Wendeltreppen bis ins Dach zum versprochenen Originalstuck und müssen wegen Absturzgefahr wieder eingefangen werden. Es folgt der unvermeidliche Programmpunkt: Nachkomme liest aus Biografie eines Künstlers, der mal vor Ort gewirkt hat. In dem Falle handelt es sich um Walter Kollo, dessen Operetten wie „Immer feste druff“ mit damals wie heute erfrischender Berliner Sensibilität erfreuen. Die Lesung zieht sich … also heimliche Flucht in die Eisdiele.

Am nächsten Tag mit frischer Kraft zur Freundschaftsinsel in Potsdam, wo in einem tulpenstrotzenden Pavillon mit Kurparkatmo die Ausstellung der Freundin eines Freundes ihre Finissage erlebt – kombiniert mit der Veranstaltung des Urania-Vereins „Wilhelm Förster“, Titel: „Gartenschönheit in Vasen.“ Dazu „stellen Gartenliebhaber Blumenarrangements in ihren Lieblingsvasen zusammen“. Vor jeder Leinwand thront nun eine Lieblingsvase, in der eine Gartenschönheit dem eigenen Finis entgegenwelkt, und während die Kunst im Einklang mit der Natur sakrale Vergänglichkeit verbreitet, beschleicht einen die sanfte Furcht, ein Chor könnte … Womit wir wieder am Ausgangspunkt wären.

Kultur am Wochenende ist einfach überbewertet.