„Wir brauchen eine viel größere Meinungsvielfalt“

MEDIEN Politiker haben zu viel Einfluss auf das Fernsehen, findet die Grüne Tabea Rößner. Darum zieht sie vor Gericht

Die rheinland-pfälzische Politikerin Tabea Rößner ist seit 2009 die medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Als solche unterstützt die 43-Jährige von der Politik und Wirtschaft unabhängigen Journalismus. Sie arbeitet selbst seit knapp 20 Jahren als Journalistin und Autorin – auch für das ZDF. Es verwundert nicht, dass sie den unfreiwilligen Abgang des Ex-ZDF-Chefs Nikolaus Brender verurteilt. Sind Politik und Journalismus überhaupt vereinbar? Ja, findet Rößner. Nach dem Studium der Musik- und Filmwissenschaft in Frankfurt studierte sie Journalistik in Mainz. Danach arbeitete sie als freie Journalistin beim Hessischen Rundfunk, bei RTL und zuletzt als Schluss- und Planungsredakteurin beim ZDF, bevor sie in die Politik ging. Wie man Politikerin wird? Das erklärt die ZDF-Kindersendung „logo!“ ganz simpel: Man sucht sich eine Partei x, tritt ihr bei und lässt sich in ein Gremium wählen. Diese einfache Formel befolgte auch Rößner im Alter von 20 Jahren, bevor sie selbst Beiträge für logo! verfasste. 1986 nämlich trat sie den Grünen bei und gründete in Frankfurt eine Hochschulgruppe – die spätere Grüne Jugend. Bereits zuvor engagierte sich Rößner bei „amnesty international“. 1990 ließ sie sich zur Vorstandssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen in Mainz wählen. Der Aufstieg zur Landesvorstandssprecherin folgte 2001. Parallel dazu war sie Delegierte im Länderrat, seit 2004 auch Mitglied des Stadtrats Mainz und stellvertretende Fraktionssprecherin der Grünen im Stadtrat. Einige Jahre lang arbeitet sie als Sprecherin in der Landesarbeitsgemeinschaft Frauen und als Mitglied im Bundesfrauenrat.

2009 zog sie in den Bundestag ein. Dort will sie den kritischen Journalismus in der gesamten Medienwelt stärken. Zwar könne hier die Politik nicht eingreifen, sagt Rößner, aber Rahmen setzen. Als medienpolitische Sprecherin hofft sie, von ihren journalistischen Erfahrungen profitieren zu können. „Ich habe Kinderfernsehen gemacht“, sagt sie. Das habe den Vorteil, komplexe Zusammenhänge sehr einfach darstellen zu können. In der Politik sei das schließlich ebenfalls notwendig. SEVERINE WEBER

INTERVIEW STEFFEN GRIMBEG

taz: Frau Rößner, Sie sind kaum im Amt, und schon ziehen Sie vor das Bundesverfassungsgericht. Nicht schlecht für den Anfang – wie hoch wollen Sie noch hinaus?

Tabea Rößner: Es ist ein Glücksfall, gleich mit einem so spannenden und wichtigen Thema als neue Bundestagsabgeordnete zu starten. Für den Zeitpunkt, wann der ZDF-Verwaltungsrat Nikolaus Brender als Chefredakteur abgesägt hat, kann ich ja nichts. Aber dieser Skandal zeigt doch, wie wichtig es ist zu klären, ob es beim ZDF verfassungskonform zugeht. Wenn man sieht, was da für eine Einflussnahme der Politik möglich ist, um die Vertragsverlängerung eines unabhängigen Journalisten zu verhindern, habe ich da große Zweifel. Und deshalb gehen wir nach Karlsruhe.

Sie waren bis zur Wahl selbst Journalistin beim ZDF. Spielt das bei Ihrem Engagement auch eine Rolle?

Natürlich. Ich habe da meinen bisherigen Kolleginnen und Kollegen gegenüber eine große Verantwortung. Es geht doch um die Glaubwürdigkeit des Senders. Denn wo ich eine wichtige Personalentscheidung so beeinflussen kann, kann ich auch Einfluss auf Programminhalte nehmen. Und damit steht das ganze Konstrukt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks infrage. Schließlich soll der – wie alle Medien – die Politik kontrollieren und nicht umgekehrt. Insofern ist es mir aus meiner Perspektive als Journalistin klar ein besonderes Anliegen. Aber ich weiß gar nicht: Bin ich noch Journalistin – eigentlich schon, finde ich

Wie passt die Präsenz von Politikern in den Gremien von ARD und ZDF mit der Staatsferne zusammen? Im ZDF-Fernsehrat sitzt übrigens auch ein Grüner – Cem Özdemir!

Da müssen Sie noch an Ihrem Verständnis von Gewaltenteilung arbeiten: Staatsferne heißt für mich jedenfalls Regierungs- und Staatskanzleiferne. Also: Ministerpräsidenten und Staatssekretäre haben in den Gremien nichts verloren. Und sie dürfen nicht wie beim ZDF-Fernsehrat über die Auswahl der Vertreter anderer gesellschaftlicher Gruppen in den Aufsichtsgremien mitentscheiden. Die Parteien sind dagegen natürlich eine gesellschaftliche Gruppe, und diese Gruppen sollen in den Gremien ja ausdrücklich vertreten sein. Wenn das Verfassungsgericht da zu einem anderen Schluss kommen sollte, halten wir aber natürlich nicht daran fest.

Ist der ZDF-Fernsehrat also ein realistisches Abbild der heutigen Gesellschaft?

Nein, das ist sehr problematisch. Da sind die Vertriebenen und Opfer des Stalinismus vertreten, aber kein einziger Migrantenverband. Mann muss endlich neu darüber diskutieren, welche Gruppen und Verbände bei den öffentlich-rechtlichen Sendern mitmachen dürfen und ihre Relevanz überprüfen. Auch das gehört dazu, wenn die Rede davon ist, das ZDF modern zu machen. Denn ZDF wie ARD gehören den Menschen, die sie nutzen und dafür Gebühren bezahlen.

„Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind meistens zwei Freundeskreise üblich – einer konservativ, also eher CDU-nah, der andere „rot“ und damit SPD-nah. Denen muss man sich zuordnen, wenn man überhaupt mitreden will“

Nun ist beim ZDF vor Weihnachten schnell ein neuer Chefredakteur benannt worden, seitdem ist dort Ruhe erste Bürgerpflicht – wo bleibt denn die Diskussion?

Natürlich haben zur Weihnachtszeit bestimmte Themen Pause. Aber es bewegt die Menschen weiter, es gibt mittlerweile sogar Tagungen zu dem Thema. Wenn diese Debatte jetzt durch die Klage in Karlsruhe weiter befördert wird, werden sich da auch noch andere gesellschaftliche Gruppen einschalten.

Für eine Klage in Karlsruhe brauchen Sie die Unterstützung von einem Viertel der Bundestagsabgeordneten. Das heißt, Ihnen fehlen zwölf Stimmen aus anderen Parteien, die gemeinsam mit Grünen und Linken mitziehen.

Wir sprechen vor allen Dingen mit der SPD und sind da auch ganz zuversichtlich. Es gibt auch Signale aus Richtung FDP.

Aber der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD, auch Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrats, hält derzeit still.

Das ist leider die Crux. Beck will die Klage nicht, weil er den Einfluss der Landesregierungen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk erhalten will. Seine Reformideen sind aber gegen die unionsregierten Länder wohl nicht durchsetzbar. Für diesen Fall hat die SPD schon angekündigt, das Verfahren beim Verfassungsgericht zu unterstützen. Da heißt es jetzt abwarten.

Heute stellen die Grünen und die Linkspartei in Berlin die sogenannte „Antragsschrift“ vor, mit der sie erreichen wollen, dass das Bundesverfassungsgericht prüft, ob die Aufsichtsgremien des ZDF überhaupt staatsfern sind.

Zweifel daran gibt es schon lange, weil allein im ZDF-Verwaltungsrat sechs Ministerpräsidenten oder Staatsminister sitzen und auch die überwältigende Mehrheit der 77 Mitglieder des ZDF-Fernsehrats direkt oder indirekt von den Länderchefs oder Parteien ausgewählt werden.

Anlass ist der Durchmarsch der CDU/CSU-Vertreter im ZDF-Verwaltungsrat, die am 27. November 2009 ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender abgesägt hatten. Brender muss nun zum 31. März gehen, sein Nachfolger wird Peter Frey. (stg)

Wie aber geht es in den Gremien weiter: Dort haben fast alle ein Parteibuch in der Tasche, auch wenn sie offiziell eine gesellschaftliche Organisation wie das Rote Kreuz vertreten. Wie wollen Sie hinbekommen, dass das in Zukunft keine Rolle mehr spielt? Ist der Politik denn so viel Selbstentmachtung zuzutrauen?

Das ist eine gemeine Frage und schwer zu beantworten. Wir brauchen eine viel größere Meinungsvielfalt in den Gremien. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind meistens zwei Freundeskreise üblich – einer konservativ, also eher CDU-nah, der andere „rot“ und damit SPD-nah. Denen muss man sich zuordnen, wenn man überhaupt mitreden will. Und gerade das verhindert, dass die Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen unabhängig entscheiden können. Die Gremien müssen endlich öffentlich tagen, weil das mehr Transparenz schafft – und die Nibelungentreue zu Ministerpräsidenten und Parteifreunden erschwert. Das gibt es schon bei ein paar ARD-Sendern, zum Beispiel dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB).

Die ARD kommt in der Debatte überhaupt ziemlich gut weg. Ist dort in Sachen Staatsferne also alles paletti?

Das ist von ARD-Anstalt zu ARD-Anstalt unterschiedlich. Wenn es demnächst aber eine klare Position des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage gibt, dürfte das außer auf das ZDF auch auf einige ARD-Sender Auswirkungen haben. Und wenn das passiert, hat der Fall Brender wenigstens noch ein gutes Ende gehabt.