Hosen runter, fluide Sexualität

TANZTHEATER Queer-Theorie und die Hinterfragung von Geschlechterrollen sind zurzeit häufig ein Thema von Choreografen. Wie in dem Stück „3rd“ von Morgan Nardi im Dock 11

VON ASTRID KAMINSKI

Die Genderfrage im Tanz, sie wird vor allem von Männern gestellt. Männliche Tänzer legen die Hosen ab, das heißt, sie schlüpfen aus den Männlichkeitsattributen und tanzen sich selbst, tanzen intersexuelle Körper oder auch Frauen. Fabian Bara tanzte Mary Wigman, Martin Stiefermann hat vom Tanzfonds Erbe Subventionen für die Beschäftigung mit Anita Berber erhalten, der ehemalige Pina-Bausch-Tänzer Josep Caballero García näherte sich kürzlich vier berühmten Frauenrollen der Tanzgeschichte, Alain Platel ließ Transsexuelle auftreten, und Morgan Nardi zeigt zurzeit ein Stück über Intersexualität im Dock 11.

Warum geht diese Umsetzung von Queer-Theorie in Tanzpraxis so stark von Männern aus? Nicht unbedeutend ist sicherlich, dass die ästhetische Faszination männlich androgyner Körper schon seit der Antike überliefert ist. Für Morgan Nardi aber war es die Krisensituation des Männlichen, die globale Manifestationen von Macht und Gewalt, die ihn in die Beschäftigung mit fluider Sexualität trieb. Auch für García, der im Tanztheater von Pina Bausch mit seinen klaren sexuellen Rollenzuschreibungen zu Hause war, war es ein sehr persönlicher Ausgangspunkt: „Ich fühlte mich nie einer bestimmten Gruppe zugehörig, sondern immer als etwas dazwischen.“

Daraus ist in seinem Stück „No [’rait] of spring“, das er im April in den Uferhallen zeigte, der Versuch entstanden, Frauenrollen aus ihren Genderattributen zu befreien und sie sich rein aus der Körperlichkeit der Bewegung heraus anzueignen. In kleinen Skizzen, die er über Szenen in „Giselle“ oder „Lady Macbeth“ erarbeitet hat, werden darum ganz ohne Ironie die Technik genauso wie die Manierismen der Partien verkörpert. Die Ergebnisse davon wirken trotzdem oft wie Parodien – nur dass der Grund dafür nicht beim Choreografen zu suchen ist, sondern zu einem Teil in der Partie selbst und zum anderen in der Wahrnehmung des Zuschauers. Männer, die Frauenmanierismen ausleben, wirken als Parodie, weil sie so gesehen werden. In der Wahrnehmung ist ihre Erscheinung offenbar immer noch definiert in Eigen- und Fremdkörperanteile.

Ganz anders ist das Erleben, wenn die Wahrnehmung den Künstler gar nicht einem Geschlecht zuordnen kann. So ist es mit Olith Ratego, der in Morgan Nardis Stück „3rd“ als Sänger und Performer auftritt. Benutzt er weiblich konnotierte Gesten, wirkt er wie eine Frau, und andersherum. Wenn er dagegen am Anfang seines Auftritts die Bühne in einigen Diagonalen überquert, beobachtet jeder überrascht, wie sich sowohl weibliche als auch männliche Körperformen unter seiner Kleidung abzeichnen. So oft gehen ja schließlich keine Hermaphroditen über die Bühne.

Eine Befreiung

Morgan Nardi und Olith Ratego haben sich auf einem Festival in Nairobi kennengelernt. Nardi, der sich als Tänzer und Choreograf seit Längerem schon mit dem Thema Intersexualität beschäftigte, war fasziniert von dem Sänger. Die Art, wie Olith mit seiner Identität umgeht, sagt der Choreograf, sei auch eine Befreiung gewesen von den erdrückenden Fakten und Statistiken, die er zum Thema Hermaphroditismus studiert hatte. Circa 3.000 Geburten von intergeschlechtlichen Menschen gebe es in Deutschland jährlich. Die Verzweiflung bis hin zu Suiziden, die mit Sexualverstümmelung und Tabuisierung einhergehen, lähmte Nardi zunächst. Mit dem Sänger nun findet er einen Zugang, der in „3rd“ zu einer so ernsten und verletzlichen wie spielerischen Versuchsanordnung wird. Platons zweigeschlechtlicher Kugelmensch wird zitiert, wenn Olith und eine Tänzerin zusammen in einem Ei liegen, aber statt ein Ideal der Versöhnung zu verkörpern, leiden beide eher unter der Fixierung in ihren Rollen. Weibliche und männliche Gangarten werden ineinander verschoben und erzeugen ein Hinken. Ein andermal schmückt ein Bilderleporello aus weiblichen Brustmodellen Nardis Brust. Konzentriert blättert er darin, ein pedantisches Zeremoniell. Befreiend sind dagegen die erdverbundenen Luo-Gesänge von Olith Ratego, die jede Frage nach der Sexualität vergessen machen und einfach Gesang sind.

„Ich bin ein Mann, aber wenn ich Frau genannt werde, bin ich eben eine Frau“, beschreibt sich der Sänger im Gespräch mit einer gelebten Selbstverständlichkeit, mit der er sowohl seinem Publikum in Kenia wie auch hier um einiges voraus sein dürfte.

■ Morgan Nardi: „3rd“, wieder am 11./12. Mai, 20.30 Uhr im Dock 11