So klappt’s auch mit …

Hochdeutsch

Wenn mich was wütend macht, drehe ich eben auf, und wenn ich mich freue, dann singe ich die Sätze

VON JULIA AMBERGER

Jetzt lebe ich schon seit acht Jahren nicht mehr in Bayern. Ich zuuuig und foooahr zwar nicht mehr so ausgeprägt wie früher. Aber mein R rolle ich immer noch rasant. Gerne denke ich an unser Lesebuch in der Grundschule, Roller Roller rattattat, weil Peter einen Roller hat. Inzwischen kann ich das R auch im Rachen erzeugen – wie es Kinder lernen, die außerhalb des Königreichs zur Schule gehen. Dazu presse ich meine Zungenspitze gegen die untere Zahnreihe und bringe mein Zapferl im Rachen zum Schwingen. Doch wenn ich mich darauf konzentriere, jedes R korrekt hochdeutsch auszusprechen, stolpere ich schon bei dem Wort grün über das ü und verhasple mich.

Dabei hätte ich die Fernsehbeiträge, die ich bisher gemacht habe, gerne selbst gesprochen. Aber ein mit Dialekt gesprenkeltes Deutsch reicht in der ARD aus, um als Exot vorgeführt zu werden. Also starte ich einen Versuch: Ich lerne Hochdeutsch!

Christine Kugler, Logopädin und Sprecherzieherin, will es mir beibringen. Sie unterrichtet in einer ehemaligen Autowäscherei in Berlin-Kreuzberg. Ich bin bereit, mein Zungenspitzen-r, das dunkle a, die Nasale und die Liebe zum Woid, zum Bayerischen Wald, abzulegen.

Bis in die 50er mussten alle Schauspieler das R rollen, sagt Kugler, die Bühnenhochsprache schrieb das vor. Heute gibt es zwar keine Regel. Aber dem Seminar für Sprechwissenschaft und Phonetik der Universität Halle zufolge hat das Zäpfchen-R das Zungenspitzen-R verdrängt. Meist wird es am Gaumenzäpfchen kurz gerieben, bei Ratte, oder gerollt, Rrrrregen, das klingt so, als würde man gurgeln, nur ohne Wasser. Bei manchen Wörtern, wie zum Beispiel Oper, wird das r wie ein Vokal ausgesprochen, irgendwo zwischen a und e, Opea.

Kugler holt aus und wirft mir einen Tennisball zu, dabei sagt sie Roooo. Ich fange, werfe ihn zurück, wiederhole Roooo, der Ball kommt mit einem Raaaa, ich fange, werfe, Raaaa, der Ball kommt, Reeee, ich werfe zurück, Regen, Ruuuu – Ruder, Rü – Rügen. Klappt!

Die nächste Übung. Diesmal kommt es aufs Hinhören an, sagt Kugler. Ich massiere meine Ohrläppchen, dann die ganze Ohrmuschel, so dass es rauscht im Ohr und schließe die Augen. B sagt Kugler, ganz sanft, B, spreche ich ihr nach, dazu muss ich nur die Lippen öffnen. P – P, meine Lippen sind jetzt gespannt und mein Zwerchfell hüpft, wenn ich den Atem ausstoße. „Wenn Sie Unterschiede im Klang wahrnehmen und sich konzentrieren, können Sie die auch nachahmen“, sagt Kugler.

Jetzt weiß ich, warum ich sehr gut Französisch, aber nur mäßig Hochdeutsch spreche. Ich bin verliebt ins Französische! Hab mir Hörspiele angehört, wohlklingende Wörter nachgesprochen, bordeaux, rouge, amour, den Sätzen wie einer Melodie gelauscht. Oder zugesehen, wie meine französischen Freunde mur sagten und dabei die Lippen spitzten. Hochdeutsch verstehe ich und jeder versteht mich. Basta. Aufmerksam werde ich vor allem dann, wenn ich eine regionale Färbung raushöre und versuche, die zu verorten. Das reine Hochdeutsch hat mich noch nie interessiert.

Das soll sich jetzt ändern.

Wie schnell man Hochdeutsch lernt, ist unterschiedlich, sagt Kugler. Manche kommen zwei Jahre lang zu ihr, andere wiederum brauchen nur vier Übungsstunden. Etwa die Musiker, denn die können Satzmelodien und die Klänge unterschiedlicher Laute besser unterscheiden und nachahmen. Am wichtigsten ist aber: Ehrgeiz. Ich kann nur den Trainingsplan zusammenstellen, sagt Kugler. „Aber trainieren müssen Sie selbst.“

Die größte Hürde: Das Erlernte in die Alltagssprache zu integrieren. Oder bei mir: in Sprechertexte und Interviews.

Ein Telefoninterview mit einem Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums. Tam! Tara Rararara. Während ich darauf warte, mit meinem Interviewpartner verbunden zu werden, donnert preußische Marschmusik aus dem Telefonhörer. Klick. Guten Tag, Frau Amberger. „Hallo Herr Rahn, freut mich, dass Sie einen Moment Zeit haben.“ Ich atme tief in den Bauch. Drücke die Zungenspitze gegen den Unterkiefer, damit sie mir beim r nicht ausschlägt. Und versuche, so seriös und distanziert zu klingen wie Susanne Daubner in der „Tagesschau“, während ich frage, wer die Sicherheit der afghanischen Mitarbeiter der Bundeswehr garantiert, wenn die Soldaten abziehen. Klick, ich lege auf. Geschafft! Doch als ich mir die Aufnahme des Gesprächs anhöre, bin ich enttäuscht. Bin das ich? Meine Stimme klingt unbeteiligt, als hätte das Schicksal der Ortskräfte wenig mit mir zu tun. Kühl. Unnahbar. Das ist meine persönliche Lektion: Wichtiger als eine professionelle Aussprache ist das, was ich zu sagen habe. Mei, wenn mich was wütend macht, dann drehe ich eben auf, und wenn ich mich freue, dann singe ich die Sätze – wie immer halt. Dabei rolle ich munter mein R. Und bin stolz darauf, dass ich so viele Laute im Repertoire hab, die dem Hochdeutschen fehlen.