Da war der Alkohol nicht schuld

Kapitän des Säuretankers „ENA 2“ legt vor dem Amtsgericht ein Teilgeständnis ab. Betrunken sei er schon gewesen, aber einen Fahrfehler habe er nicht begangen

Als Beate T. am 28. Juni 2004 kurz nach 18 Uhr aus ihrem Küchenfenster auf den Hafen blickt, ruft sie sofort ihre Tochter aus dem oberen Stockwerk herbei. Die solle den Fotoapparat holen, schnell, denn auf der Elbe bahne sich ein schwerwiegender Unfall an. Kaum ausgesprochen, hört sie ein lautes Signalhorn, dann kommt es vor ihren Augen zum Zusammenstoß: Das Tankschiff „ENA 2“ fährt in den Containerriesen „Pudong Senator“ hinein und schlägt leck.

Eineinhalb Jahre später ist der Kapitän der „ENA 2“ vor dem Amtsgericht nicht wiederzuerkennen. Volltrunken war er damals, nach durchzechter Nacht nur flüchtig geduscht, unrasiert. Jetzt sitzt er in dunklem Anzug und weißem Hemd vor Gericht. Mike K. muss sich wegen Gefährdung des Schiffsverkehrs und Gewässerverunreinigung verantworten.

Im Petroleumhafen ist die „ENA 2“ nach der Kollision gekentert, 959 Tonnen Schwefelsäure sind in den Fluss ausgelaufen, viele Fische erstickt. Eine Woche hat es gedauert, bis das Tankschiff geborgen werden konnte, mit einem Kran, der eigens aus Bremerhaven geliehen werden musste.

Der 38-Jährige legt vor dem Amtsgericht ein Teilgeständnis ab. An einem Fakt kommt er ohnehin nicht vorbei: Er hatte bei der Havarie über 2,19 Promille Alkohol im Blut, das war eine Trunkenheitsfahrt: „Dazu stehe ich.“ Sein Schiffsführerpatent ist er seit dem Unfall los. Der Vater von drei Kindern lebt von Arbeitslosengeld II.

Die Verantwortung für die Kollision hingegen will er nicht so einfach auf sich nehmen. Fahrregeln, sagt er, habe er nicht missachtet. Dem Containerfrachter habe er seine Position korrekt durchgegeben, aber die „Pudong Senator“, sagte der Angeklagte, „hat sich daraufhin nicht gemeldet“. Er habe nicht gewusst, wo genau sie ist und was sie tut, als der Containerriese plötzlich an der Einmündung des Parkhafens vor ihm aufgetaucht sei, unausweichlich.

Dreimal, hält der Richter ihm entgegen, habe er zuvor per Funk von der Leitzentrale einen Warnruf empfangen: „Mike, da kommt ein Großer raus.“ Erst die letzte Meldung aber, beharrt der 38-Jährige, habe er gehört. Was er sich da gedacht habe? „Da war es schon zu spät.“

Der Verteidiger von Mike K., Otmar Kury, deutet an, dass den Schiffsführer der „Pudong Senator“ eine Mitschuld an der Kollision treffen könnte. Der Containerfrachter fuhr nach dem Ablegen im Parkhafen mit 7,1 Knoten Geschwindigkeit, das war möglicherweise zu schnell. Auch Augenzeugin Beate T. fiel zunächst das Fahrverhalten der „Pudong Senator“ auf. „Ich sah sie mit ziemlicher Geschwindigkeit aus dem Parkhafen herauskommen. Es ging rasant, wie sie Richtung Elbe kam.“

Der Prozess wird fortgesetzt.

ELKE SPANNER