Wenn alles und jeder grünt

ÖKOLOGIE Der Autor Andreas Möller will der neuen grünen Bürgerlichkeit der Deutschen auf die Spur kommen, verheddert sich dabei aber im Gestrüpp seiner eigenen Gedanken

Grün sein ist in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen. Auch weil es sich rechnet, gibt es eine Windrad- und Solaranlagendichte wie nirgendwo sonst. Zwar werden Lebensmittel zu 42 Prozent bei Discountern gekauft, doch zugleich liegen Biosupermärkte im Trend. Und eine Zeitschrift wie Landlust mit Bullerbü-Idylle erreicht eine Millionenauflage.

Woher kommt das – und welches Naturverständnis steht dahinter? Um welche sozialen Bedürfnisse und Werte geht es hier? Andreas Möller erhebt den Anspruch, dieses Phänomen auszuleuchten mit seinem Buch „Das grüne Gewissen“. Das Projekt könnte interessant sein, doch leider scheitert der Autor daran, weil er mit einer Taschenlampe wild herumfuchtelt und alles aufschreibt, was ihm gerade in den Blick kommt.

Der Autor besucht Orte überwiegend in Berlin und Brandenburg, aber auch das stillgelegte Atomkraftwerk in Philippsburg. Wir erfahren etwas übers Wetter, den Straßenbelag, die Qualität des Kaffees und die persönliche Befindlichkeit Möllers. Zwischendurch ploppen immer mal wieder Gedichte von Schriftstellern auf, der Autor berichtet über seinen zeichnenden Großvater und seine Kindheit. Da, wo es inhaltlich interessant werden könnte, fehlen Fakten und eine klare Analyse.

So widmet der Autor etwa der Verpressung von Kohlendioxid und dem Widerstand dagegen zwei Seiten. Er habe mit einem „Experten“ in Australien über die Technik gesprochen, wo es eine Demonstrationsanlage gibt, berichtet Möller. Irgendwelche Fakten über Australien oder den Inhalt des Gesprächs? Fehlanzeige.

Dann erzählt Möller über seinen Besuch der Vattenfall-Versuchsanlage in der Lausitz. „Ich fühlte mich wie auf einer Expedition, die einen völlig neuen Zugang zur Natur mit Nutzen für die Gesellschaft eröffnen würde.“ Bedauernd verfolgt er die Entscheidungen auf politischer Ebene gegen CCS und den Rückzieher Vattenfalls. „Vielleicht ist es das, was am schwersten wiegt: dass wir bei der ablehnenden Haltung hinsichtlich neuer Technologien nicht nur wirtschaftliches Engagement zum Erliegen bringen, sondern damit verbunden auch das wissenschaftliche Engagement infrage stellen.“

Das Gefühlige, das er bei vielen Zeitgenossen in ihrer Ablehnung von Großtechniken oder Impfungen zu entdecken meint, entspricht seinem Glauben, dass vor allem die Technik Lösungen für die Probleme der Menschheit bringen kann. Vieles, was Möller schreibt, ist auch inhaltlich schief oder falsch.

Bei der Beschreibung, wie die westdeutsche Anti-AKW-Bewegung entstand, verwischt er beispielsweise die damaligen Konfliktlinien: „Welche tragende Rolle die RAF in der Diskussion über die Kernkraft spielte, wird daran deutlich, dass neben den bekannten Feindbildern des Staates auch die Wirtschaft betroffen war. Es war möglich, dass spaltbares Material in die falschen Hände geriet.“ Am Ende der Lektüre bleibt die Frage: Was wollte uns der Autor eigentlich sagen?

ANNETTE JENSEN

Andreas Möller: „Das grüne Gewissen. Wenn die Natur zur Ersatzreligion wird“. Hanser, München 2013, 261 S., 17,90 Euro