Die eigentlichen Schweine

SüNDENPFUHL Die einen zahlen keine Steuern, die anderen fahren schwarz – aber ist das vergleichbar?

„Die Reichen aus Othmarschen und Blankenese tauchen hier nicht auf, sie fahren nicht U-Bahn, sondern SUV“

VON FRIEDERIKE GRÄFF

Es ist die höchste Stelle hier“, sagt der Mann hinter dem Schalter. Die höchste Instanz, wenn man die Hamburger Hochbahn ohne gültigen Ausweis benutzt hat. „Es sind auch die schweren Sachen“, sagt der Schaltermann, “missbräuchliche Nutzung von Karten“. Aber Reue? Reue zeigt fast keiner. Von zehn, sagt der Mann hinter dem Schalter, seien fünf ruppig. Drei freundlich. Zwei reumütig. Wenn überhaupt. Der Schalter der Hamburger Hochbahn für erhöhtes Beförderungsentgelt ist nicht der Ort für Buße und Umkehr. Eher für Fragen von Gerechtigkeit und Gnade, aber die kann man ja für weitläufige Verwandte halten.

Seitdem sie in den kleinen Raum im 5. Stock an den Hühnerposten umgezogen sind, sitzen die Mitarbeiter hinter der Glasscheibe immerhin auf Augenhöhe mit ihren Kunden. Davor mussten sie immer hochgucken. Der junge Mann mit Rucksack und Rastazopf pöbelt nicht, er zeigt eine Bescheinigung seiner Hochschule vor, dass er 155,10 Euro für ein Semesterticket bezahlt hat, aber das genügt dem Schaltermenschen nicht, er braucht eine unterschriebene Bescheinigung. „Es liegt an denen, nicht an Ihnen“, sagt der Schaltermann hinter dem Tresen, der einen Ohrring im Ohr trägt und ein gebatikt wirkendes T-Shirt. Der Student fügt sich, der „Chipkarten-Service“ seiner Hochschule, „das sind eigentlich die Schweine“, sagt er auf dem Flur. Er sagt auch, dass sein Semesterticket weniger koste als das Sozialticket für Bedürftige und dass er die Kontrolleure schon oft gefragt habe, warum sie immer nur auf dem Weg ins sozial schwache Wilhelmsburg kontrollierten.

Der nächste am Schalter ist ein Mann mit schwarzer Baseballkappe. „Ich kann nicht zahlen“, sagt er. „Was können Sie vereinbaren?“. „Es nützt nichts“, sagt der Schaltermann. „es sind ziemlich viele Summen aufgelaufen“. „Wenn ich zehn Euro zahle?“, fragt der Baseballkappenmann. Der Schaltermann ist zögerlich, aber dann fragt er, ob der Mann eine Adresse habe, nein, er sei auf Wohnungssuche, „das ist die Scheiße“, sagt der Mann. „Zahlen Sie fünf jeden Monat“, sagt der Schaltermann und mahnt, dass nichts weiter hinzukommen solle. „Tut‘s nicht“, sagt der Mann, „schönen Tag noch“.

Heute ist nicht der Tag der Pöbler, es ist der Tag der adretten Studentinnen, die ihr Semesterticket vergessen hatten und der willigen Ratenzahler, aber der Schaltermann erzählt, dass man ihn schon angespuckt und beworfen habe. Er mache seine Arbeit dennoch gerne, freiwillig auch, weil er dem Schichtdienst entkommen wollte und den direkten Kontakt mit den Menschen suchte. Er mag die Mühseligen und Beladenen, die hier erscheinen, er sieht an den Adressen, dass sie aus den armen Stadtteilen kommen und er weiß, wie es sich anfühlt, kein Geld zu haben. Die Reichen aus Othmarschen und Blankenese tauchen hier nicht auf, sie fahren nicht U-Bahn, sondern SUV und falls doch, haben sie Geld für die Fahrkarte.

Manchmal ruft der Schaltermann bei den Anwälten und Inkassounternehmen an, um Gnade für die Schwarzfahrer zu erwirken und er scheint Freude daran zu haben, dass er nun in einer Position ist, Gnade ergehen lassen zu können. Raten-Gnade und Fristen-Gnade. Gedankt wird seine Arbeit von den Kunden kaum, einmal hat ein älterer Mann für ihn ein Gesicht mit Brille aus einer Eichel gebastelt, der Schaltermann erinnert sich noch lebhaft daran. Die meisten sind nicht dankbar, wie auch, da sie ohne Schuldgefühl kommen. „Ich weiß ja nicht, wie sie in diese Lage geraten sind“, sagt der Schaltermann, „aber wer öffentliche Verkehrsmittel nutzt, weiß, dass er sie bezahlen muss. Das tut man im Kaufhaus ja auch“. Wahrscheinlich ist es eben dieses Öffentliche, das vielen so allgemein-waberig erscheint, dass es zu nichts verpflichtet: Uli Hoeneß nur in begrenztem Umfang zur Steuerzahlung und die Hochbahngäste nur begrenzt zum Fahrscheinkauf.

Was sie hinterher darüber sagen, changiert zwischen Schönfärberei, Wunschdenken und Lügen. “Hallöchen“, sagt ein Junge, der das Geld an die Hochbahn lange überwiesen haben will, aber auf dem Kontoauszug, den er als Beweis mitgebracht hat, ist über die entscheidene Stelle Tee geflossen. Der nächste Kunde trägt ein T-Shirt mit einer sonderbaren Figur, auf deren Hut “Cleptomanics“ steht, er kommt sehr schwungvoll mit einem Freund hinein. “Ich habe 20 Euro offen“, sagt er, den Brief dazu hat er in der Bahn vergessen. „Es ist eine ältere Sache“, sagt der Schaltermann. „Ich hab es verschwitzt“, sagt der schwungvolle Mann, der die Strafe in Raten zahlen wollte, es dann aber irgendwie verpasst hat. „Da ist ein Inkasso-Unternehmen dran“, sagt der Schaltermann, „ärgerlich. Die Leute vom HVV sind die größten Gängster“, sagt er zu seinem Freund. „Was ist, wenn ich es nicht zahle?“, fragt er den Schaltermann. „Wird es immer mehr“, sagt der. Der schwungvolle Mann zahlt.

„Es darf keine Rolle spielen, ob jemand nett ist oder nicht“, sagt der Schaltermann. „Vor dem Beförderungsgesetz sind alle gleich“. Auch die weniger Netten. Aber die Kompliziertheit der Welt endet nicht vor dem Hühnerposten Nr. 1, 5. Stock. „Wenn jemand freundlich ist, bin ich der letzte, der sagt, Sie dürfen keine 5-Euro-Raten zahlen“.