Jukebox

Die Avantgarde, bekannt aus Film und Fernsehen

Avantgarde? Ist ein französisches Wort für bullshit, wie sich John Lennon mal auszudrücken pflegte. Aha!

Es handelt sich also um eine Frage des Materials, und die muss immer neu verhandelt werden. Gute Gelegenheit dafür ist das Ultraschall-Festival. Ab kommenden Donnerstag wird bis zum 29. Januar neue Musik präsentiert und damit eben Avantgarde (Info: www.dradio.de/ultraschall), die allgemein gern mit dem Schweiße der Anstrengung in Verbindung gebracht wird. Nicht das Leichte, Lockende. Eher Brechstange. Was man mal so stehen lassen kann.

Auf dem Ultraschall-Programm steht dann zum Beispiel auch Ennio Morricone mit seiner Filmmusik zu „Spiel mir das Lied vom Tod“, was damit zusammenhängt, dass das Festival einerseits dem italienischen Komponisten Franco Evangelisti gewidmet ist (der mit Morricone im Ensemble Nuova Consonanza der freien Improvisation frönte), und andererseits sollen bei Ultraschall die Klassiker der polnischen Avantgarde gefeaturet werden wie Krzysztof Penderecki. Den wiederum könnte eine breitere Masse auch aus dem Kino kennen. Seine expressive Musik half den Filmen „Der Exorzist“ und „Shining“ auf die Sprünge. Kino und Avantgardemusik pflegen eine intime Beziehung, auf je verschiedene Weise. Sei es, dass in der Neuen Musik entwickelte Techniken in den Filmmusikkompositionen aufgenommen werden (bei Morricone zu hören). Sei es, dass Avantgardekompositionen gleich direkt wenigstens in Teilstrecken als Soundtrack verwendet werden. Was dafür sorgt, dass sich im Kino viele Menschen freiwillig so einer Musik aussetzen, die ansonsten einiges dafür tun würden, um nur keine Avantgarde hören zu müssen. Weil die ja nach Anstrengung schmeckt. Und hinterher heißt es dann: Mutti, Mutti, er hat überhaupt nicht gebohrt.

Aber ist das dann noch Avantgarde?

Weitere Frage: Ist das überhaupt eine Sachertorte, die einer isst, der in seinem Leben zuvor noch nie von Süßkram gekostet hat und die Fallhöhen in diesem Feld nicht kennt?

Das Material selbst aber (Bullenscheiße) hat sich in beiden Fällen nicht verändert. Das eigentliche Problem scheinen die Rezeptionsbedingungen. Da konnte die Avantgarde noch mit keinem Mitnahmeeffekt punkten: Auch das Kino hat sie nicht wirklich populärer gemacht. Wenige nur lieben die Brechstange um ihrer selbst willen.

Dabei kann sich auch ein John Lennon irren. THOMAS MAUCH