Fehler im System

Die mäßigen Leistungen deutscher Skispringer sind auf Fehler in der Nachwuchsarbeit zurückzuführen

BAD MITTERNDORF taz ■ Stephan Hocke darf sich freuen. Er profitiert von der Formschwäche Martin Schmitts. Der Oberhofer wurde anstelle des Fliegers aus Furtwangen für die Skiflug-WM in Bad Mitterndorf nominiert. Doch Hocke wird aller Voraussicht nach keine weiten Flüge unternehmen auf der weltgrößten Naturschanze. Erstens, weil er nur Ersatzmann ist, und zweitens, weil seine Verfassung vermutlich nicht viel besser ist als die von Schmitt – dabei ist Hocke Olympiasieger. Gemeinsam mit Schmitt, Sven Hannawald und Michael Uhrmann hat er vor vier Jahren Mannschafts-Gold in Salt Lake City gewonnen. Als großes Talent ist er gefeiert worden, hat als kaum 18-Jähriger den Olympia-Titel gewonnen. Dann kamen Turbulenzen: Neue Regeln wurden eingeführt, mit Wolfgang Steiert und später Peter Rohwein musste er sich an zwei neue Trainer gewöhnen. Hockes Leistungen sackten ab. Seine jüngsten Platzierungen im Continental-Cup, der 2. Liga des Skisprungs, waren ein sechster und ein neunter Platz in Planica. Dass er in ein paar Wochen wieder bei Olympia dabei sein darf, ist utopisch, Cheftrainer Peter Rohwein hofft noch auf eine Art Wunderheilung von Schmitt.

Der vierfache Weltmeister verzichtet auf die Skiflug-WM, um gezielt für Olympia zu trainieren. Vielleicht hat ihn auch ein wenig die Furcht vor der Reise in die Steiermark abgehalten, denn wer weit fliegen will, braucht ein stabiles System. Und das fehlt Schmitt. Rohwein erwartet nach der verpatzten Vierschanzentournee in fast schon unerschütterlicher Zuversicht auf eine Medaille im Team-Wettbewerb, der erst zum zweiten Mal zum Programm einer Flug-WM gehört. „Unser Ziel muss es sein, eine Medaille zu holen“, sagt er. Damit hätte er schon eine bessere Bilanz als sein Vorgänger Steiert vorzuweisen, unter dessen Führung reichte es vor zwei Jahren bei der WM nur zu Platz vier. Die Kritik an Rohwein ist größer geworden während und nach der Tournee. Der Mechanismus des Sports, dass im Falle schlechter Leistung der Trainer hinterfragt wird, funktioniert auch im Skispringen. Rohwein mag darüber nicht sprechen, hebt lieber die positiven Aspekte hervor, die er sich von der WM erhofft, eine Team-Medaille etwa. Und dann ist da ja noch Uhrmann, Vierter des Weltcup-Klassements. „Fliegen kann er – wenn er denn ins Fliegen kommt“, sagt Rohwein. Die Verantwortlichen im Skiverband stellen sich vor Rohwein. Vielleicht, weil sie wissen, dass ihm keine Vorwürfe zu machen sind. Abgesehen von Schmitts Rückschlägen arbeitet er ruhig und konzentriert mit den anderen Mannschaftsmitgliedern. Und wie DSV-Generalsekretär Thomas Pfüller erkannte, fehlen zurzeit die großen Talente.

Die Probleme im Skispringen liegen in der Struktur, die 2003 nach dem Weggang von Reinhard Heß und der Installation von Steiert als Bundestrainer geschaffen worden sind. Bis dahin gab es für die in die Kategorien B, C und D/C eingeteilten Nachwuchskader drei Trainer. Über den B-Kader sprangen sich Hannawald, Schmitt, Uhrmann und Georg Späth in den Weltcup, in den anderen Kadern übten Nachwuchstalente. Kurzerhand wurden 2003 der B- und der C-Kader zusammengeschlossen und einem Trainer unterstellt: Rolf Schilli, der zusätzlich Martin Schmitts Heimtraining gestalten muss. Sommerwettkämpfe des Continental-Cups wurden nicht mehr mit Springern beschickt.

Deshalb sank die deutsche Startplatzquote in diesem gerade für jene, die um den Anschluss ringen, so wichtigen Wettbewerb zwischenzeitlich auf vier – so viele hat zum Beispiel auch Kasachstan. Diese Fakten sprechen für eine Vernachlässigung der Nachwuchsarbeit, die gerade in der Euphorie um Hannawald und Schmitt so wichtig gewesen wäre. Die Quittung: Mit Uhrmann, Späth, Alexander Herr und Michael Neumayer springen gerade einmal vier Athleten einigermaßen passabel im Weltcup, Druck von hoffnungsvollen Nachwuchstalenten, die in den Weltcup-Kader drängen und auf gute Resultate brennen, gibt es nicht. Das macht Rohweins Arbeit nicht gerade leichter. KATHRIN ZEILMANN