GEHT’S NOCH?
: Aufstand gegen die Anstehenden

Was wollen die Massen vor den neuen Eis-, Kaffee- und Klops-„Manufakturen“. Qualität? Nö. Es geht um Distinktion

In meiner Berlin-Neuköllner Nachbarschaft gibt es eine In-Eisdiele. Ich komme mir ein bisschen blöd vor, das so hinzuschreiben – In-Eisdiele –, aber wenn es nun mal stimmt? Bei gutem Wetter zieht sich die Schlange vor „Fräulein Frost“ ein gutes Stück die Straße rauf. Längst nicht nur Familien mit kleinen Kindern stehen da an, unter den Wartenden sind auffällig viele Kinderlose Um-die-30-Jährige. Und es werden ständig mehr. In Prenzlauer Berg musste sogar schon ein Eisdealer die Preise erhöhen, um Kunden abzuschrecken.

Auf Facebook habe ich die Frage gepostet, was das Schlangestehen über den Geisteszustand der Schlangestehenden aussagt. Mit meinem Unverständnis war ich recht allein. Die meisten meiner Facebookfreunde sahen darin nur die Bestätigung dafür, „dass das Eis megalecker ist“. Ich glaube das nicht. Die Leute stehen da nicht, weil das Eis schmeckt, sondern weil da schon andere Leute stehen. Es geht weniger um das tatsächliche Geschmackserlebnis, als vielmehr um das gute Gefühl, in der richtigen Schlange zu stehen. Weil ich es mir wert bin. Die Gegenwart der anderen adelt das Eis vor dem ersten Schlecker. Merkwürdigerweise haben diese Leute kein Problem damit, den Herdentrieb mit ihrem individualistischen Selbstbild zu vereinbaren.

Es geht also um Distinktion: Wer nicht irgendein Auto fährt, irgendwelche Turnschuhe trägt, der kauft auch nicht irgendwo sein Eis. Aber das ist noch nicht alles: Hier stehen die Leute Schlange, die das Leben für einen Kindergeburtstag halten – Eis essen, Skateboard fahren und abends vorm Einschlafen „Drei Fragezeichen“ hören. In Berliner Eisdielen verschmelzen Distinktion und Regression zu einer ähnlich abenteuerlichen Melange wie Gurke, Zitrone und Minze im GuZiMi-Eis von „Fräulein Frost“.

Wer das nun alles für eine Berliner Spezialität hält, der hat völlig recht. In keiner anderen deutschen Stadt gedeiht der Hype so prächtig wie hier, wo sich niemand für Politik interessiert, aber alle für neue Bars und Restaurants. Davon gibt es sehr viele – letztlich knubbeln sich aber doch alle in denselben Läden. Denke ich, während ich schräg gegenüber vom „Fräulein Frost“ eine Viertelstunde darauf warte, endlich meinen Cappuccino bestellen zu dürfen. Aber der ist auch wirklich sehr, sehr gut. DAVID DENK