Familienfeier gesprengt

Auf der „Silberhochzeit“ (20.40 Uhr, Arte) werden süße Erinnerungen zur Zerreißprobe für eine lange Ehe

Erinnerungen sind eine wunderbare Sache – wenn man sie mit den richtigen Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort teilt. Im falschen Moment sind sie Sprengsätze, die tiefe Krater hinterlassen.

Was Ben (Matthias Habich) und Alexandra (Corinna Harfouch) an der Festtagstafel zu erzählen haben, ist eigentlich genau der Stoff, der bei Jubiläumsfeiern eine heiter-melancholische Stimmung schafft: Vor 30 Jahren haben sich die beiden in einer verzauberten Nacht in Australien kennen gelernt; obwohl es die wilden Siebziger waren, verzichtete man auf Sex. Es gab nur einen innigen Kuss und einen über Jahre dauernden romantischen Briefaustausch.

So weit, so anrührend. Doch dummerweise feiert Ben heute nicht mit Australienbekanntschaft Alexandra Silberhochzeit, sondern mit Alma (Iris Berben), die den ihr erstmals offenbarten Amouren ihres Ehemannes immer irritierter lauscht. Und das ist nur der Anfang einer Reihe unvorhergesehener emotionaler Detonationen während der Feier im engsten Freundeskreis.

Das Tolle an dem One-Night-Drama „Silberhochzeit“ ist, dass kaum etwas Monströses passieren muss, auf dass das Fest gesprengt wird. Alte Lieben, kleine Versäumnisse unter Eheleuten, zwischenmenschliche Missgeschicke – an sich sind sie fast alle nicht der Rede wert. Es gibt ja nicht mal einen außerehelichen Beischlaf zu beichten. Ungeheuerlich aber ist, wie hier verschwiegen und verdrängt wird und das Verschwiegene und Verdrängte im ungünstigsten Moment ans Tageslicht drängt. Lügen und Geheimnisse, Intimität und Impertinenz, Vertrauen und Verrat ergeben eine riskante Mixtur. Die acht Tischgäste lassen keine Gelegenheit aus, sich weh zu tun. Ganz ohne böse Absichten, versteht sich.

Zugrunde liegt dem Film eine Kurzgeschichte von Elke Heidenreich. Das Drehbuch stammt von Daniel Nocke, der sonst die perfide-präzisen Familiengeschichten für Stefan Krohmer schreibt („Ende der Saison“) und ein Meister des entlarvenden Dialogs ist. Regie führte der uneitle Melodramenmalocher Matti Geschonneck, der wie im deutschen TV wohl kein Zweiter die verflüchtigten Ideale und sozialen Arrangements arrivierter Akademiker beleuchtet. Oft reicht bei ihm eine kleine persönliche Erschütterung, um die hübsche Holzparkettwelt aus den Fugen geraten zu lassen.

Und so liefert Geschonneck in „Silberhochzeit“ mit seinem Spät-68er-Personal, was Doris Dörrie vor ein paar Jahren mit ihren Spät-Yuppie-Protagonisten in „Nackt“ so gründlich misslang: das Porträt einer Generation, die sich über eine aus dem Ruder laufende Soiree selbst demontiert.

Zwar hätte man auf die Frau-Sommer-Stimme („Jacobs Krönung“!), mit der Iris Berben alias Alma die Geschehnisse kommentiert, ganz gut verzichten können. Ansonsten verfolgt Regisseur Geschonneck recht streng sein Erzählkonzept. Er überzeichnet nicht und verzichtet auf bizarre Gimmicks. Sein Blick ist unbestechlich, aber seine Inszenierungstechnik diskret: Als dem sensiblen Liebesbriefschreiber Ben einmal die Tränen kommen, darf er kurz aus dem Bild treten. CHRISTIAN BUSS

Weitere Ausstrahlung: Mittwoch, 18. Januar, 20.15 Uhr, ARD