DIE MACHTFRAGE IN DEN USA DÜRFTE AUF LANGE SICHT ENTSCHIEDEN SEIN
: Richter des Präsidenten

Das wäre ein Schauspiel: Im Bundestag befragen Abgeordnete inquisitorisch einen Kandidaten für das Karlsruher Verfassungsgericht. Sie wollen herausbekommen, ob der Mann dafür sorgen wird, dass in Deutschland Abtreibungen verboten, Stammzellforschung abgeschafft und das Christuskreuz wieder in jedem Klassenzimmer hängen wird – und ob die Regierung Terrorverdächtige ausspionieren darf.

Undenkbar? In Deutschland schon. In den USA findet derzeit eine solche Anhörung statt mit einem Kandidaten für den Obersten Gerichtshof. Präsident George W. Bush nominierte im Oktober den als erzkonservativ geltenden Richter Samuel A. Alito für den Supreme Court. Mit ihm, befürchten Demokraten, werde es in den ohnehin von Republikanern nahezu uneingeschränkt regierten USA einen weiteren Rechtsruck geben.

Denn: Es kann noch schlimmer kommen, als es ohnehin ist. Vieles, was international zu Entsetzen und Verstimmung in den transatlantischen Beziehungen mit den USA geführt hat, ist auch eine Interpretation der amerikanischen Verfassung. Insbesondere die Regierung Bush hat sich von konservativen, nahezu imperial denkenden Juristen eine ihr genehme Gesetzes-Interpretation anfertigen lassen. Sie gewährt dem Präsidenten eine atemberaubende Machtfülle. Das gilt für den Einsatz von Folter, das Recht des Präsidenten, sich selbst über die demokratisch verabschiedeten Anti-Terror-Gesetze zu stellen – und sein Recht, Landsleute bespitzeln zu lassen. Ganz zu schweigen von Themen wie Guantánamo oder der Todesstrafe.

Kein Wunder also, dass Medien und Politik wie gebannt eine Woche lang auf das tägliche Schauspiel im Justizausschuss des Senats schauen. Jede Regung des zukünftigen Obersten Richters wird analysiert, kritisch hinterfragt und nochmals diskutiert. Zu Recht. Immerhin gewährt eine Gesellschaft, die sonst so stolz auf ihre „Checks and Balances“ ist, hier einem Mann enorm viel Macht. Denn Alito wäre nicht irgendein mächtiger Oberster Richter. Alito wird, bestätigt ihn der Senat, die entscheidende Stimme zugunsten der Konservativen im neunköpfigen Supreme Court sein – und das für viele Jahre. ADRIENNE WOLTERSDORF