Rot-Grün in der Geheimdienstfalle

Keine Beteiligung am Irakkrieg: Das war der Glaubenssatz der Schröder-Fischer-Regierung. Jetzt wird bekannt: BND-Agenten spionierten in Bagdad

von BERND PICKERT
und LUKAS WALLRAFF

Eigentlich wollte sich Frank-Walter Steinmeier gestern um die Zukunft kümmern. Um den Weltfrieden. Doch bevor der deutsche Außenminister über Irans Atompläne beraten konnte, holte ihn die Vergangenheit ein. Seine eigene als früherer Kanzleramtschef – und die von Rot-Grün.

Der Bundesnachrichtendienst soll 2003 während des Irakkriegs mit den USA kooperiert, möglicherweise sogar bei der Suche nach Bombenzielen geholfen haben – diese Vorwürfe treffen die Mitglieder der früheren Regierung ins Mark. Sie stellen das populärste Kernstück rot-grüner Tätigkeit in Frage: das angeblich ach so unerschütterliche Nein zur Beteiligung am Irakkrieg.

Zum zweiten Mal nach der CIA-Affäre im Dezember, als Besuche deutscher Beamter im US-Gefangenenlager Guantánamo bekannt wurden, scheinen nun eklatante Unterschiede zwischen der Regierungsrhetorik und Geheimdienstpraxis sichtbar zu werden. Entsprechend „entsetzt“ soll der grüne Exaußenminister Joschka Fischer reagiert haben.

Fischer sagt, dass er von nichts wusste, fordert „Sachverhaltsaufklärung“, kann den Sachverhalt aber noch relativ gelassen sehen: Er ist ja ohnehin nicht mehr im Amt. Unmittelbar betroffen ist dagegen Steinmeier. Der SPD-Politiker war 2003 als Chef des Kanzleramts für die Geheimdienste zuständig – und als amtierender Minister ist er auskunftspflichtig. Eine „aktive Unterstützung von Kampfhandlungen“ sei „ausgeschlossen“ gewesen, teilte er gestern mit. Viel mehr nicht. (siehe Kasten)

Wirklich zufrieden ist mit diesen Auskünften niemand. Selbst SPD-Politiker halten einen Untersuchungsausschuss zu den Geheimdienstaktivitäten unter Rot-Grün inzwischen für unausweichlich. Zu viele Fragen bleiben offen: Vor allem, was unter „aktiver Unterstützung“ zu verstehen war – und was nicht.

Der BND dementierte nachdrücklich, den USA Tipps für Ziele gegeben zu haben, die sie anvisieren könnten. Bestätigt wurde inzwischen jedoch, dass die USA Hinweise bekamen, welche Ziele sie nicht bombardieren sollten.

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Norbert Röttgen (CDU), ließ der taz erklären, er habe für heute eine Sitzung einberufen. Grüne, FDP und Linkspartei verlangen spätestens am Mittwoch im Bundestags mehr Auskünfte.

Anlass für die Aufregung waren Berichte des ARD-Magazins „Panorama und der Süddeutschen Zeitung. Sie hatten unter Berufung auf eine Quelle im US-amerikanischen Verteidigungsministerium berichtet, während des Irakkrieges hätten zwei BND-Mitarbeiter in Bagdad dem US-Geheimdienst DIA bei der Bewertung von möglichen Zielen für US-Luftangriffe geholfen. Der BND hat inzwischen die Anwesenheit der zwei Agenten in Bagdad bestätigt. Aber: „Zielunterlagen oder Koordinaten für Bombenziele sind nicht zur Verfügung gestellt worden“, ließ der BND „Panorama“ wissen. Das allerdings, also etwa die Übermittlung von GPS-Daten, behauptet „Panorama“ auch gar nicht. Die Pentagon-Quelle berichtet über ein Treffen zwischen DIA und BND in Pullach im Dezember 2002: „Wir haben verschiedene Punkte während der Besprechung abgearbeitet, einschließlich der Planung von deutscher Spionagehilfe während und vor dem Krieg, was natürlich hieß, uns bei der Zielführung und Zielbestätigung zu helfen.“

Auch während der Bombardierung Bagdads hätten die USA die Hilfe des BND beansprucht: „Die übliche Frage hieß: Haben wir darüber irgendetwas von den Deutschen? Oder aber wir benutzten den Ausdruck: Gebt den Deutschen einen Auftrag. Wir haben die Anfrage gemacht, sie haben uns direkt unterstützt. Sie haben Informationen für die Zielplanung geliefert.“

Der spektakulärste Fall einer solchen Hilfe geschah laut „Panorama“ am Nachmittag des 7. April 2003. Die USA hätten, so die Geschichte, von Quellen in Bagdad von der Anwesenheit eines Trosses schwarzer Mercedes-Limousinen im Stadtteil Mansur erfahren – damals ein recht sicheres Indiz für die Präsenz hoher Regierungsmitglieder, vermutlich Saddam Husseins selbst. Um die Information zu verifizieren, seien die deutschen BNDler, nach dem Abzug des übrigen deutschen Personals bei den Franzosen untergebracht, losgeschickt worden und hätten die Anwesenheit der Limousinen bestätigt.

Ob diese Geschichte stimmt, ist unklar: Der BND dementiert heftig. Sicher ist, dass nur Minuten später vier 1.000-Kilo-Bomben den entsprechenden Gebäudekomplex in Schutt und Asche legten – Saddam Hussein wurde nicht getroffen. Zwischen 12 und 19 Zivilisten starben.

Der Publizist und BND-Experte Erich Schmidt-Enboom hält auf Nachfrage der taz die Zusammenarbeit der BND-Mitarbeiter mit der US-amerikanischen DIA für wahrscheinlich. „Der BND war seit Anfang der 80er-Jahre in Badgad mit einer Residentur präsent, er war sehr stark mit dem Nachrichtendienst Saddam Husseins verwoben und kannte sich gut aus. Insofern ist es wahrscheinlich, dass die beiden BND-Mitarbeiter in der französischen Botschaft so etwas wie eine ständig aktualisierte Topografie der Stadt geliefert haben.“

Die Geschichte des Angriffs vom 7. April jedoch hält Schmidt-Enboom für wenig plausibel. „Allein schon der Meldeweg wäre dafür viel zu lang gewesen: BND – Defence Intelligence Agency in Stuttgart – wieder Pullach.“ Schmidt-Enboom hält diese Meldung eher für ein politisches Manöver, um vor dem Besuch Angela Merkels in Washington durch das Konstrukt einer deutschen Beteiligung am Irakkrieg von Guantánamo-Kritik abzulenken.

Das wiederum hält die „Panorama“-Redaktion für Unsinn: Schon seit Herbst 2005, als niemand vom Termin eines Merkel-Besuchs bei Bush wusste, sei Autor John Goetz entsprechenden Hinweisen nachgegangen, sagt „Panorama“-Redaktionsleiter Stephan Wels der taz.

MITARBEIT: WOLFGANG GAST