gottschalk sagt
: Öfter mal Moral draufschreiben

Meine Lieblingsmeldung aus den ersten vierzehn Tagen des jungen Jahres ist jene über einen Einbruch in ein Bürogebäude in Köln. Die Täter brachen in fast alle Büros ein, auch in das der Frauenrechtsorganisation „Medica Mondiale“. Die Polizei fand auch dort die Geldkassette aufgebrochen vor, aber es fehlte nichts. Kein Cent. Statt dessen stand auf einen 20-Euro-Schein gekritzelt: „MORAL“. Da war auch die Polizei beeindruckt: „‘Weltklasse!‘ soll es einem Kriminalbeamten entfahren sein, als er in die aufgebrochene Geldkassette blickte,“ so der Kölner Stadt-Anzeiger. Ich finde, die Situation hat etwas Lyrisches. Und man sollte öfter mal „MORAL“ irgendwo draufschreiben.

Eins habe ich mir für dieses Jahr vorgenommen. Wie jeder weiß, fallen einem die schlagfertigen Antworten auf dumme Fragen normalerweise viel zu spät ein. Selten erhält man eine zweite Chance, die auf dem Heimweg oder auf dem Sofa ausgetüftelten tollen Antworten zu benutzen. Außer bei „Kaufland“. Jedes Mal werde ich an der Kasse gefragt: „Waren sie mit ihrem Einkauf zufrieden?“ und jedes Mal murmele ich: „Ja“. Und jedes Mal nehme ich mir vor: Beim nächsten mal tue ich es. Mit irrem Blick werde ich die Kassiererin anschauen, tief Luft holen und sagen: „Es war toll, es war fantastisch. Zufrieden ist gar kein Ausdruck! Es war unglaublich schön! Sobald ich meine Einkäufe nach Hause getragen habe, komme ich zurück! Ich will noch Mal! Einkaufen!“ Ich werde es tun. 2006.

Viele Leute bedürfen ja eigentlich meiner Beratung, wissen es aber nicht. So kommt es immer wieder zu vermeidbaren Fehlern. Die Finanzverwaltung NRW zum Beispiel bietet jetzt an, die Steuererklärung online abzuwickeln. Als griffige Abkürzung für die „Elektronische Steuer-Erklärung“ wählten sie: „Elster“. Wenn ich als Behörde den Ruf hätte, dem Bürger stets nach dem letzten Hemd oder dem Familiensilber zu trachten, würde ich mich hüten, mit einem Vogel in Verbindung gebracht zu werden, der den Ruf hat, ein notorischer Dieb zu sein, und zwar einer ohne jede Moral. Oder habe ich den Humor nicht verstanden?

Zum Schluss noch ein Fernsehtipp: Schauen sie jeden WDR-Rückblick zum Thema 50 Jahre WDR. Lassen Sie keinen aus. Wenn in einem Rückblick nicht die Szene gezeigt wird, in der ein bärtiger Mann mit einer Axt auf einen Tisch einhaut, beschweren sie sich. Diese Szene gehört in jeden Rückblick. Ich hätte übrigens gerne so einen Tisch. Er ist unglaublich stabil.

Fotohinweis: CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz nrw