: Hitler liebte Mickey Mouse
Der Norden entwickelt sich zur führenden Trickfilmregion Deutschlands – wenn man Berlin dazu zählt. 15 von 26 Animationsspielfilme sind im Zeitraum 1997 bis 2004 an den Trickfilmstandorten Berlin, Hamburg, und Hannover entstanden; mehr als 10 Millionen Zuschauer haben die Filme gesehen.
Begonnen hat die Geschichte des großen Trickfilms in Berlin. Elf Jahre vor Disneys erster Großproduktion Schneewittchen brachte die Berlinerin Lotte Reiniger 1926 den von Tausendundeiner Nacht inspirierten Silhouettenfilm Die Abenteuer des Prinzen Achmed in das deutsche Kino. Aus 250.000 Einzelaufnahmen entstand ein Film, der an fernöstliche Schattenspiele erinnert.
Wenig später versuchte die NS-Führung, eine eigenständige deutsche Trickfilmindustrie zu etablieren. Hitler war ein großer Disney-Fan und schwer beeindruckt vom Erfolg von Schneewittchen. Goebbels schrieb in sein Tagebuch: „Ich schenke dem Führer zwölf Micky-Maus-Filme zu Weihnachten! Er freut sich darüber. Ist ganz glücklich über diesen Schatz.“ 1941 wurde auf Goebbels Initiative hin die Deutsche Zeichentrickfilm GmbH als Animationsfabrik nach disneyscher Machart gegründet. Obwohl bis zu 500 Zeichner an den Filmen arbeiteten, war der Erfolg nur mäßig.
Von der Nachkriegszeit bis Ende der 80er Jahre lag der deutsche Animationsspielfilm im Dornröschenschlaf. Erst mit der Kinoversion der Werner-Comics und des Kleinen Arschlochs kam in den 90er Jahren der kommerzielle Erfolg: 11 Millionen Zuschauer sahen die vier Werner-Filme, 3 Millionen Walter Moers Kleines Arschloch. Bis auf Werner, volles Rohr, der in Berlin produziert wurde, stammen alle Produktionen von der Hamburger Trickfilmcompany, die mit Käpt’n Blaubär – der Film einen weiteren Hit landete.
Hamburg zum Zentrum des deutschen Animationsfilms auszurufen, wie es die Leiterin der Hamburger Filmförderung Eva Hubert kürzlich tat, ist allerdings verwegen. Die letzten großen Trickfilmerfolge, die künstlerisch ambitionierte Kinderbuchadaption Lauras Stern und Der kleine Eisbär sind Werke der Berliner Trickfilmschmiede Cartoon-Film. Hubert rechnet diese Produktionen Hamburg zu, weil sie unter anderem auch Hamburger Filmförderung erhalten hatten.
Während sich die amerikanischen Studios von dem 2D-Genre verabschieden, zeigt sich in Deutschland erst in den letzten Jahren ein größeres Interesse für den computeranimierten 3D-Trickfilm. Als wichtiger Standort etabliert sich Hannover. Hier entstand 2004 der erste abendfüllende computeranimierte Film Back to Gaya – mit allerdings bescheidenen 160.000 Zuschauern. Bei von Insiderkreisen geschätzten 20 Millionen Euro Produktionskosten – das Animationsunternehmen Ambient Entertainment schweigt sich hierzu aus – ein finanzielles Desaster. Back to Gaya scheiterte nicht an der technischen Umsetzung – der Film ist produktionstechnisch auf der Höhe der Zeit – sondern an der teils wirren und klischeehaften Story und ihren platten Dialogen.
2005 ist es um den norddeutschen Trickfilm ruhig geworden. Dieter – der Film, die Kinofassung von Dieter Bohlens Buch Nichts als die Wahrheit, wurde – glücklicherweise – mit Ende des Bohlenhypes von der Trickcompany vor der Premiere zurückgezogen, einzig Der kleine Eisbär II von Cartoon Film in Berlin kam aus dem Norden in die Kinos.
Derzeit steht Ambient Entertainment kurz vor dem Abschluss einer Verfilmung von Urmel aus dem Eis, und die Trickfilmcompany arbeitet an der tricktechnischen Umsetzung von Erich Kästners Kinderbuch Das doppelte Lottchen. Morten Helbing
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen