Gibt es einen Anspruch Bremens auf weitere Sanierungshilfe?

Der Präsident des Bremer Oberverwaltungsgerichtes, Matthias Stauch, ist ein gefragter Experte, wenn es um juristische und finanzpolitische Argumente für den Anspruch Bremens auf weitere Sanierungshilfen geht. Wir dokumentieren einen Beitrag von ihm zum Thema, jüngst erschienen im Kellner-Verlag

„Im Zeitraum bis 2004 muss die Haushaltsstabilisierung vollendet sein“

„Die Freie Hansestadt Bremen befindet sich in schwieriger Lage“, beginnt Matthias Stauch seinen Beitrag in dem Band „Die Zukunft der Stadtstaaten“. Stauch benennt ohne Umschweife die bedrückende Tatsache: „Der Bund lehnt eine Fortsetzung des Sanierungsanspruches ab, ohne Erklärungen abzugeben, wie er im Rahmen seiner bundesstaatlichen Verantwortung auf die weitere Entwicklung in den beiden Sanierungsländern Bremen und Saarland zu reagieren gedenkt. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass nicht damit gerechnet werden kann, dass über Verhandlungen mit dem Bund eine Fortsetzung der Sanierungsleistungen erreicht werden kann.“

Und Stauch weist auf einen Aspekt der juristischen Ausgangslage hin, der in Bremen oft unerwähnt bleibt: „Bei der Einschätzung der Ausgangslage muss auch berücksichtigt werden, dass bei Aufnahme der Sanierungshilfen in den §§ 11 Abs. 6 des Finanzausgleichsgesetzes (Drittes Änderungsgesetz zum FAG vom 17.06.1999, BGBl. 1382) der Bundesgesetzgeber Position bezogen hat. In der Gesetzesbegründung heißt es unter anderem: »Im Hinblick auf die noch bestehenden Anpassungsnotwendigkeiten wird für die Jahre 1999 bis 2004 eine auslaufende Sanierungshilfe gewährt, mit der der extremen Haushaltsnotlage abschließend entsprochen ist. Im Zeitraum bis 2004 muss die Haushaltsstabilisierung vollendet sein.« Darüber hinaus enthält das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999 (BVerfGE 101, 158 ff., 235) folgende Sätze: »Die degressive Bemessung stellt sicher, dass diese Zuweisungen spätestens im Jahre 2004 auslaufen. Die beiden begünstigten Länder sind damit auf den Wegfall dieser Zuweisungen vorbereitet, andere können auf das Auslaufen dieser Übergangsbundesergänzungszuweisungen bauen.«

Dennoch ist Stauch der Ansicht, dass vor allem eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, die formal auf der weiter bestehenden Haushaltsnotlage beharrt, etwas bringen kann. Die Begründung des Juristen: „Eine Fortsetzung der Haushaltssanierung der Länder mit extremer Haushaltsnotlage abzulehnen, ohne aber vertretbare und umsetzbare Lösungen aufzuzeigen, ist weder verantwortbar noch argumentativ vertretbar.“

Spannend ist der Beitragt von Stauch insbesondere in den Passagen, in denen er sich mit der verbreiteten Vorstellung auseinander setzt, dass Bremen andere Möglichkeiten habe als erneute Sanierungshilfen zu fordern, um der extremen Haushaltsnotlage zu begegnen. Diesen Teil seines Beitrages dokumentieren wir hier. Red.

Was würde eine Änderung der Umsatzsteuerverteilung bringen?

Bei der Frage der Umsatzsteuerverteilung sind die Großstädte benachteiligt, weil bei ihnen aufgrund des strukturell höheren Umsatzes von Waren und Dienstleistungen ein höheres Umsatzsteueraufkommen anfällt, die Umsatzsteuer gleichwohl aber im Wesentlichen nach der Zahl der Einwohner verteilt wird (Art. 107 Abs. 1 Satz 4 GG). Ergänzt wird diese Einwohner bezogene Steuerverteilung durch einen Ausgleich der Finanzkraftunterschiede. Ein örtlich höheres Umsatzsteueraufkommen ist für die Verteilung der Umsatzsteuer unerheblich. Diese Umsatzsteuerverteilung ist durch das Grundgesetz festgelegt worden. In der Finanzwissenschaft wird sie im Übrigen maßgeblich darauf zurückgeführt, dass die Umsatzsteuer »örtlich nicht radizierbar« sei. Das heißt, eine örtliche Zuordnung bei der Umsatzsteuer ist bereits prinzipiell sehr schwer. Verfassungsrechtliche Ansatzpunkte, die bisherige - im Grundgesetz im Übrigen festgeschriebene - Umsatzsteuerverteilung anzugreifen, sind kaum absehbar. Die bisherige Umsatzsteuerverteilung kann aus Sicht der Großstädte beklagt werden, eine politische oder rechtliche Strategie kann mit Aussicht auf Erfolg jedoch nicht auf eine Änderung der Umsatzsteuerverteilung gestützt werden. Es kann daher auch nicht erwartet werden, dass politische oder rechtliche Ansätze zur Änderung der Umsatzsteuerverteilung einen erreichbaren Beitrag zur Beseitigung der extremen Haushaltsnotlage Bremens leisten könnten.

Was würde eine Änderung der Lohnsteuerzerlegung bringen?

Bremen wird auch bei der Lohnsteuerzerlegung benachteiligt. Im Zerlegungsgesetz wird bestimmt, dass im Rahmen der originären Steuerverteilung die Lohnsteuer dem Ort des Wohnsitzes des Arbeitnehmers zugeordnet wird. Das bedeutet, dass die Lohnsteuer der Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz in Bremen haben, aber zur Arbeit täglich nach Bremen einpendeln als Steueraufkommen dem niedersächsischen Finanzamt vom Wohnort des Arbeitnehmers zugeordnet wird. (...) Die Freie Hansestadt Bremen verfügt über ein Bruttoinlandsprodukt, das gemessen am Bundesdurchschnitt über 130 Prozent beträgt; die originäre Finanzkraft nach Umsatzsteuerverteilung und Lohnsteuerzerlegung erreicht dagegen keine 110 Prozent des Bundesdurchschnitts. Es findet also eine Verwerfung zwischen Wirtschaftskraft und Finanzkraft statt. Eine Änderung der originären Steuerverteilung, die Wirtschafts- und Finanzkraft zumindest einander annähern würde, ist daher ein wichtiges Ziel bremischer Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Gleichwohl muss festgestellt werden, dass die extreme Haushaltsnotlage Bremens weder auf den Ungerechtigkeiten der originären Steuerverteilung beruht, noch dass eine Änderung der originären Steuerverteilung und insbesondere der Lohnsteuerzerlegung geeignet wäre, der Haushaltsnotlage Bremens abzuhelfen. Das liegt daran, dass die Finanzkraftunterschiede zwischen den einzelnen Ländern auch nach der Neuordnung des Finanzausgleichs noch zu einem großen Teil im Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ausgeglichen werden. Modellrechnungen zeigen, dass etwa eine hälftige Aufteilung der Lohnsteuer zwischen dem Wohnort und der Betriebsstätte des Arbeitnehmers für die Freie Hansestadt Bremen lediglich zu Steuermehreinnahmen nach Finanzausgleich in Höhe von 13 Millionen Euro führen würden; eine vollständige Zuordnung nach der Betriebsstätte würde zu Steuermehreinnahmen von 26 Millionen Euro führen. Beträge dieser Größenordnung sind ungeeignet, die finanzwirtschaftliche Lage Bremens wesentlich zu verbessern.

Wäre eine Erhöhung der Einwohnerwertung durchsetzbar?

Mit der Frage der Einwohnerwertung der Stadtstaaten hat sich das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen von 1986 und 1992 befasst. In dem Urteil von 1986 hat es die Einwohnerwertung gegen die Angriffe ins besondere des Landes Baden-Württemberg grundsätzlich als zulässig im bundesstaatlichen Finanzausgleich angesehen. Das Urteil von 1992 befasste sich insbesondere mit der angemessenen Höhe der Einwohnerwertung.

Im Finanzausgleich unter den Ländern wird die unterschiedliche Finanzkraft im Grundsatz nach der Finanzkraft je Einwohner gemessen und ausgeglichen. Für die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin wird diese Zahl der Einwohner mit 138 einem Gewichtungsfaktor (1,35) multipliziert, weil es sich um Großstädte ohne Umland handelt. Es fehlt ein kommunaler Finanzausgleich, der den Stadtstaaten eine großstadttypische Finanzausstattung gewährleisten könnte, wie diese in den Vergleichsgroßstädten der Flächenländer besteht. Eine ungewichtete Behandlung der Stadtstaaten wie Flächenländer verbietet sich, weil Großstädte eine grundlegend andere Wirtschafts- und Finanzkraftstruktur aufweisen (strukturell erhöhtes Steueraufkommen, großstadttypische Aufgaben und Ausgaben), die eine pauschalierende Gleichsetzung mit den Flächenländern verbietet. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gewichtungsfaktor von 1,35 im Rahmen des dem Bundesgesetzgeber zustehenden Beurteilungsspielraumes auch als angemessen angesehen (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27.5.1992, a.a.O., Seiten 238 ff.). Die Einwohnerwertung von 135 Prozent bleibt zwar hinter der Finanzausstattung der vergleichbaren Großstädte in den Flächenländern zurück, das Bundesverfassungsgericht hat diesen Satz innerhalb einer Bandbreite zulässiger Gewichtungen gleichwohl noch als zulässig angesehen. Es hat sich dabei im Wesentlichen auf das sogenannte IFO-Gutachten gestützt.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999 ist eine erneute Überprüfung des Gewichtungsfaktors der Einwohnerwertung durchgeführt worden. Dazu liegen inzwischen drei Gutachten vor, nämlich ein umfangreiches neues aktualisiertes Gutachten des IFO, das eine Einwohnerwertung für die Stadtstaaten ab 117 Prozent für zulässig hält, ein Gutachten des BBR-Institutes im Auftrag des Bundesministers der Finanzen, das eine Einwohnergewichtung von 116 Prozent bis 147 Prozent als zulässig ansieht sowie eine Aktualisierung des früheren ersten IFO-Gutachtens durch die frühere Gutachterin Marlies Hummel. Das letztere Gutachten wurde im Auftrag der drei Stadtstaaten erstellt. Es kommt im Ergebnis zu einer zulässigen Bandbreite der Einwohnerwertung von 133 Prozent bis 147 Prozent. Zur Einwohnerwertung lässt sich damit feststellen, dass nach dem gegenwärtigen Stand aller vorliegenden Gutachten eine Einwohnerwertung von 135 Prozent nach wie vor innerhalb des Rahmens einer zulässigen Bandbreite liegen würde. Andere Gutachten oder Erkenntnisse, mit denen ein Anspruch auf eine höhere Einwohnerwertung auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründet werden könnte, liegen nicht vor.

Die Geltendmachung eines Anspruchs auf Erhöhung der Einwohnerwertung scheint mir bei dieser Sachlage nicht ernsthaft geeignet zu sein, einen Beitrag zur Beseitigung der Haushaltsnotlage Bremens zu leisten. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine Erhöhung der Einwohnerwertung um einen Prozentpunkt die Einnahmen der Freien Hansestadt Bremen um 13 Millionen Euro erhöhen würde. Zur Schließung der bestehenden Deckungslücke wäre eine Erhöhung der Einwohnerwertung um etwa 35 Prozentpunkte erforderlich, also gegenüber dem bisherigen Status Quo eine Verdoppelung. Angesichts der verfassungsrechtlichen, der finanzwirtschaftlichen und der politischen Sachlage erscheint eine ernsthafte Vertretung eines Anspruchs der Freien Hansestadt Bremen auf eine Erhöhung der Einwohnerwertung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zielführend zu sein.

Gibt es eine Chance auf grundlegende Änderung des Finanzausgleichs?

Der bisherige Finanzausgleich fußt auf einem Finanzkraftausgleich pauschal nach der Zahl der Einwohner der Länder, modifiziert um eine Einwohnergewichtung für die Stadtstaaten. Eine grundlegende Änderung des Verteilungsmaßstabes des Finanzausgleichs, etwa nach der örtlichen Wirtschafts- und Finanzkraft, könnte die Position Bremens im Finanzausgleich wesentlich verbessern. Es ist jedoch festzustellen, dass verfassungsrechtlich kein Anspruch begründbar ist auf die Einführung eines völlig neuen grundlegenden Maßstabs für den bundesstaatlichen Finanzausgleich.

Das Bundesverfassungsgericht hat in allen seinen bisherigen Entscheidungen den Einwohnermaßstab als verfassungsrechtlich zulässig und angemessen angesehen. Verfassungsrechtlich lässt sich nicht begründen, dass dieser Maßstab nunmehr unzulässig und durch den Maßstab der Wirtschafts- und Finanzkraft ersetzt werden müsste. Strategisch und politisch werden auch keine Mehrheiten für die Ablösung des bisherigen Maßstabs des Finanzausgleichs zu gewinnen sein. Der Finanzausgleich ist gerade kürzlich mit einer Befristungsdauer bis zum Jahre 2019 neu geordnet worden. Es ist nicht erkennbar, dass politische Initiativen zu seiner grundlegenden Umgestaltung zum jetzigen Zeitpunkt Ansätze auf Erfolg böten. Ein Beitrag zur Beseitigung der extremen Haushaltsnotlage Bremens lässt sich aus diesem Ansatz daher ebenfalls nicht ableiten.

Eine in diesem Beitrag naturgemäß nur knappe und überschlägige Prüfung anderer vertretbarer Positionen der Freien Hansestadt Bremen im bundesstaatlichen Finanzausgleich führt daher zum Ergebnis, dass verfassungsrechtlich und politisch-strategisch weder Forderungen zu einer Änderung der originären Steuerverteilung, zur Erhöhung der Einwohnerwertung oder zu einer grundlegenden Änderung des Systems des bundesstaatlichen Finanzausgleichs absehbar geeignet wären, verfassungsrechtlich oder politisch-strategisch ernsthafte Lösungswege wären, der extremen Haushaltsnotlage des Landes zu begegnen. Aus meiner Sicht verbietet es sich, Lösungswege in gerichtlichen Verfahren oder im politischen Prozess ernsthaft zu vertreten, die absehbar keine hinreichende und wirksam vertreten werden müssen. Jeder weitere Zeitaufschub führt zu einer Verschärfung der extremen Haushaltsnotlage und damit auch zu einer Erhöhung der Mittel, die beansprucht werden müssen, um diese Haushaltsnotlage zurückzuführen. Diese Situation erschwert die Vertretung des weiteren Anspruchs. (...)

Von einem Abwarten der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Normenkontrollantrag Berlins ist dringend abzuraten. Vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der extremen Haushaltsnotlage ist für das Gericht die Situation und die Argumentation der beiden Haushaltsnotlagenländer Saarland und Bremen zu verdeutlichen. Dies ist erforderlich, damit nicht möglicherweise im Vorgriff auf von diesen beiden Ländern noch nicht erhobene Ansprüche allgemeine Aussagen für die Fälle von extremer Haushaltsnotlage getroffen werden, die Bremen und das Saarland betreffen könnten. (... ) Die Frage der Länderneugliederung, die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1992 als allerletztes Mittel angesprochen ist, wenn die finanzwirtschaftliche Leistungsfähigkeit der bundesstaatlichen Gemeinschaft im Ganzen überfordert ist, ist durch den Verfassungsgeber in Art. 29 GG im Einzelnen geregelt. Ein Zwang zu einer Länderneugliederung ist durch Art. 29 GG gerade nicht begründet worden, diese Entscheidung ist vielmehr den Bürgern der betroffenen Länder überantwortet worden. Mögliche Änderungen von Art. 29 GG in den durch Art. 79 Abs. 3 GG gesteckten Grenzen obliegen allein dem Verfassungsgeber, nicht der Rechtsprechung. (...)

Ein erneutes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist für die Freie Hansestadt Bremen bei einer Verweigerung des Bundes und der Länder nicht vermeidbar, weil ansonsten unabwendbar mit einer schnellen Verschärfung der extremen Haushaltsnotlage zu rechnen ist. Dieses Verfahren birgt natürlich auch ganz erhebliche Risiken. Es besteht aber meines Erachtens keine vertretbare Handlungsalternative, die es erlauben könnte, davon abzusehen.