Deutschland sieht rot

Seit 1994 hat sich die Rotweinfläche in Deutschland fast verdoppelt. Passend zum veränderten Kaufverhalten: Über die Hälfte der hier verkauften Weine sind rot. Davon kommen 35 Prozent aus hiesiger Produktion – und die können sich sehen lassen

VON STEPHAN REINHARDT

Dass Deutschland ein Weißweinland sei, mit Riesling als unangefochtenem König, galt lange als unbestritten. Inzwischen aber gibt es Anzeichen dafür, dass es mittelfristig zwar keinen Putsch, wohl aber einen anderen Hofstaat geben könnte. Denn in Deutschlands Rebgärten werden verstärkt Rotweinsorten angebaut. Seit 1994 ist die Rotweinfläche in Deutschland (insgesamt 102.000 Hektar Rebfläche) von knapp 20.000 auf fast 37.000 Hektar angewachsen, Tendenz: steigend. Das sich erwärmende Klima sei daran schuld, machen immer mehr Winzer geltend. Doch laut der vom Deutschen Weininstitut in Mainz herausgegebenen Statistik „Deutscher Wein“ entspricht diese Entwicklung vor allem dem veränderten Kaufverhalten der deutschen Konsumenten. Inzwischen sind mehr als die Hälfte (55 Prozent) aller im deutschen Handel eingekauften Weine rot, wenngleich nicht alle davon, aber immer mehr (inzwischen 35 Prozent) aus Deutschland stammen.

Unter den hierzulande angebauten roten Rebsorten nimmt der Spätburgunder (Pinot noir) zwar weiterhin die Spitzenstellung ein – mengenmäßig wie qualitativ –, aber der genügsame Dornfelder, der süffige Portugieser und der württembergische Trollinger sowie Schwarzriesling sind ihm auf den Fersen.

Eine beachtliche Karriere hat in den letzten Jahren aber vor allem die robuste Neuzüchtung Regent hingelegt. Die wegen ihrer Widerstandskraft gerade auch bei Biowinzern beliebte Sorte ist die am fleißigsten neu angebaute Rotweinvarietät im Land. In den letzten fünf Jahren hat sich ihre Fläche mehr als versechsfacht, auf 2.037 Hektar. Für Gerhard Eichelmann, Deutschlands 763 Seiten starke Antwort auf den Wein-Guide des Gault Millau, kommt der feinste – Fellbacher Lämmler Regent trocken 2003 („feiner Duft, viel reife Frucht, Schokolade, gute Länge“; 13 Euro) – vom Weingut Heid im württembergischen Fellbach (Tel. 07 11-58 41 12).

Wer von Fellbach spricht, darf von Gerhard Aldinger nicht schweigen. Nur wenige Winzer in Deutschland können eine vergleichbar starke Rotweinkollektion vorzeigen (neben einer ebenso vorzüglichen Weißweinsammlung) wie Aldinger. Wo Daniela und Markus Heid Regent stehen haben, im Lämmler, thront bei Aldinger unter anderem mit dem Lemberger die deutsche Ausgabe des österreichischen Blaufränkischen – und damit eine der faszinierenden Rotweinsorten der Welt. Aldingers kraftvoller und würziger 2003er Lemberger zählt, wie auch sein eleganter, brillant fruchtiger und bestechend klarer 2003er Spätburgunder aus gleicher Lage, mit zum Besten, was Württemberg an Rotweinen zu bieten hat (Tel. 07 11-58 14 17).

Aldinger baut darüber hinaus Deutschlands verblüffendsten Trollinger aus: kein süffiges Leichtgewicht wie die meisten, zudem oft dünnen Trollinger, sondern einen seriösen, durchaus anspruchsvollen, da saftig, dicht und substanzreich strukturierten Rotwein mit dem Format eines Burgunders.

Im Ländle gedeiht sogar der mengenmäßig kaum in Erscheinung tretende Zweigelt vorzüglich, neben dem Blaufränkisch Österreichs zweiter Nationalheiliger. So landete etwa der kompakt strukturierte Zweigelt 2003 von Jürgen Ellwanger aus Winterbach (22 Euro, Tel. 0 71 81-4 45 25) in einer Vergleichsprobe von deutschen und österreichischen Zweigelt-Weinen, die das Magazin Der Feinschmecker im November 2005 veröffentlichte, auf Platz eins. Platz 2: der holzwürzige Zweigelt 2003 von Karl Haidle aus Kernern, dito Württemberg.

Weitere deutsche Rotweine werden unter anderem aus St. Laurent, Dunkelfelder, Heroldrebe und – hier gibt es ebenfalls großartige Vertreter – aus Frühburgunder erzeugt, einer früh reifenden Mutation des Spätburgunders, die ebenfalls verstärkt angebaut wird. Auffallend im positiven Sinne sind vor allem die immer besser und zum Teil herausragenden Rotweine, die aus den international erfolgreichen französischen Sorten Merlot, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Syrah gekeltert werden. Eine der besten Adressen auch hierbei, nicht nur bei Riesling und Spätburgunder, sind die Gebrüder Knipser im pfälzischen Laumersheim (Tel. 0 62 38-43 77). Ihre 2003er sind Weltklasse: der dichte, dunkelbeerige, feinwürzige und lang anhaltende Syrah; die von reifer Frucht und Kraft geprägte Cuvée X, die noch dichtere, kompaktere, kraftvollere Cuvée XR, der würzige und konzentrierte Cabernet Franc, der satte, reife Merlot … Hier hilft nur: Hinfahren, sich in der Probierstube festketten und – durchhalten.