Sozialistin Bachelet vor Wahlsieg in Chile

Auch die letzte Umfrage gibt der charismatischen Michelle Bachelet vor der morgigen Stichwahl fünf Prozentpunkte Vorsprung vor dem konservativen Multimillionär Sebastián Piñera. Ihr trauen die Menschen eher zu, die soziale Schieflage anzugehen

VON GERHARD DILGER

„Se siente, se siente, Michelle Presidente“ („Man spürt es, man spürt es, Michelle wird Präsidentin“) skandieren zehntausende Anhänger auf Santiagos Hauptverkehrsstraße Alameda, nachdem die Kandidatin ihre Rede beendet hat. Nicht nur für die Fans der charismatischen Sozialistin scheint an diesem sommerlichen Donnerstagabend die Stichwahl vom Sonntag bereits gelaufen zu sein – auch das Meinungsforschungsinstitut Mori sieht Bachelet in seiner letzten Umfrage mit 45 Prozent deutlich vor dem konservativen Multimillionär Sebastián Piñera (40 Prozent).

Entsprechend gelöst fiel die kurze Abschlussrede der 54-Jährigen aus. „Zusammen werden wir den Weg des Fortschritts und der Gerechtigkeit gehen“, rief die ehemalige Aktivistin vor rund 200.000 Menschen und erinnerte an all jene, die während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973–1990) den Einsatz für die Menschenrechte mit ihrem Leben bezahlten.

Seit den Wahlen vom 11. Dezember, als Bachelet mit 46 Prozent siegte und die seit 1990 regierende Mitte-links-Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten ihre Parlamentsmehrheit ausbauen konnte, hat sich die politische Stimmung in Chile nicht gedreht. Die Rechte hoffte auf die TV-Live-Debatte, doch dabei konnte Bachelet die Attacken des telegenen Piñera souverän parieren. Zudem liegt das Land im regionalen Vergleich schon jetzt mit einem Wirtschaftswachstum von 6 Prozent ganz vorne – aber auch bei der ungerechten Einkommensverteilung. Dass diese soziale Schieflage eher unter Bachelet als unter Piñera abgebaut werden könnte, glauben die meisten ChilenInnen.

„Wir wollen Arbeit schaffen, würdige Arbeit“, wiederholte Bachelet jetzt vor dem Gewerkschaftsdachverband CUT. „Wir brauchen mehr Ausgewogenheit in den Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern. Das ‚mehr‘ unterscheidet uns von der Rechten.“ Gewerkschafter müssten endlich wieder für das Parlament kandidieren können, bekräftigte sie.

Bereits im Dezember hatte Bachelet die Unterstützung der Kommunisten gewonnen, deren WählerInnen schon bei der Stichwahl vor sechs Jahren das Zünglein an der Waage waren: Damals siegte der Sozialdemokrat Ricardo Lagos denkbar knapp.

Sebastián Piñera brachte für seine Abschlusskundgebung in Valparaíso rund 10.000 Anhänger auf die Beine. „Wir brauchen einen Regierungswechsel, damit nach sechzehn Jahren frische Luft hereinkommt“, rief er. Piñeras Anspruch, mehr Führungsstärke zu haben als Bachelet, erlitt jedoch zuletzt einen empfindlichen Dämpfer: Nachdem er vollmundig die Verankerung von Indianerrechten in der Verfassung versprochen hatte, brachte die Regierung am Dienstag flugs einen entsprechenden Gesetzentwurf im Repräsentantenhaus ein. Bei der entscheidenden Abstimmung enthielten sich 20 konservative Abgeordnete der Stimme – das Projekt scheiterte.