Das wüste Land ist eiskalt

Das Theater Oberhausen spielt mitten im Winter im Gasometer. Intendant Johannes Lepper wollte nur dort Tankred Dorsts „Parzival“ inszenieren. Alle bekommen Decken und einen Handwärmer

AUS OBERHAUSENPETER ORTMANN

Auch Engel wollen heute nicht mehr fliegen. Sie nehmen einen Aufzug. Nicht in den Himmel, sondern nur unter das Dach des Gasometers in Oberhausen. Dort lebt der Geist der Moderne in seiner entgasten Ruine, in deren Zentrum ein Foucaultsches Pendel kreist. Nicht zum ersten Mal.

Johannes Lepper, Intendant des Oberhausener Theaters, verlegt seine Inszenierung von Tankred Dorsts „Parzival“ mitten im Winter in das Ruhrgebiets-Wahrzeichen. Mit Decken, Plastik-Handwärmern und dampfenden Pferden im Parterre. Es ist schließlich ein ritterliches Festspiel im eisigen Eisenkörper. Viele Möglichkeiten außerhalb eines Theaters werden von der Regie ausgeschöpft: Offenes Feuer, Endlos-Hall und wirklich weite Wege. Doch es bleibt saukalt. Das wärmste Gefühl des Premierenabends erzeugt die Heizung im Auto bei der Heimfahrt und nicht die brennende Frage nach dem zukünftigen Schicksal unserer Zivilisation.

Tankred Dorst, der sich in seinem Werk mehrfach in Parabeln mit der Sagenwelt um König Artus beschäftigte, lässt seinen Parzival in einem unaufgelösten Szenarium durch die Welt irren und nach dem Sinn des Lebens suchen. Er verlässt den schützenden Wald und seine behütende Mutter, initiiert sich per Mord zum roten Ritter an der Tafelrunde und sucht verzweifelt Gott als obersten König: „Ich schlage alles kaputt, ich verwüste das ganze Land, ich töte alles, was lebt, bis Er allein noch übrig bleibt!“ Doch Parzival landet hoffnungslos im wüsten Land. Er ist dann zwar halbwegs zu einem Protagonisten für die real existierende Gesellschaft erzogen, könnte selbst sogar Gralskönig werden, doch die Zukunft bleibt düster. Wie es dort zugeht, hat Dorst bereits in seinem letzten Stück „Die Wüste“ beschrieben, wo ein adliger Namensvetter des Pendel-Foucault, der einst die Achse der Welt bewies, als Heiliger auf einem Geländefahrzeug endet.

Doch soweit ist Parzival in Oberhausen noch nicht. Intendant Lepper jagt ihn durch eine eiskalte Welt. Der ehemalige Gasbehälter wird dafür zu einer sakralen Gralsburg illuminiert. Zugegeben, der Raum ist so einzigartig dominant, dass eine Inszenierung darin schwierig ist, jede Akustik schreit zur gläsernen Decke. Selbst leise Sprache verhallt breiig im Nichts. Nur die ritterlichen Lanzen, die aufs Eisen geschlagen werden, erzeugen adäquate Töne. Da helfen auch kein mühsam angezündetes Kreuz und magisch frierende Schauspieler, die das Spektakel umkreisen. Und es hilft nicht die Blaskapelle, die verzweifelt gegen die Vibrationen in der Luft ankämpft. Er würde Parzival an keinem anderen Ort inszenieren, hat Lepper in einem Interview gesagt. Der Gasometer sei die „Gralsburg der Moderne“. Doch die technischen Mittel, die er der Oberhausener Blechbüchse entgegensetzt, reichen nicht aus, sind einfach zu erwartbar. Vielleicht doch lieber sommerliche Festspiele vor einem beleuchteten Jedermann-Schloss? Sicher nicht. Schon Peter Zadek hat in den 1970ern schlüssig in Fabrikruinen inszeniert. Und Jeff Zach als Parzival, Marek Jera als Merlin und ein kleines Mädchen spielen immerhin überzeugend gegen die unendliche Höhe der ehemaligen Industrialisierung an.

18.Januar, 19:30 UhrInfos: 0208-85780