Wuppertaler gegen Oggersheimer

Zum 75. von Johannes Rau: Warum der Mann aus Barmen 1987 nicht Bundeskanzler geworden ist

Wenige Tage vor seinem heutigen 75. Geburtstag schrieb Johannes Rau einen Leserbrief an die FAZ. Darin wehrte er sich gegen Helmut Kohls Memoiren (Part II, 1982 bis 1990): „Zu der Behauptung von Helmut Kohl in seinen neuen Erinnerungen stelle ich fest: Ich habe Herrn Honecker nie versprochen, im Falle meiner Wahl zum Bundeskanzler in einem Regierungsprogramm die volle Respektierung der DDR-Staatsbürgerschaft zu verkünden. Ich habe nie mit Erich Honecker oder mit anderen über dies Thema gesprochen.“

Erich Honecker? DDR-Staatsbürgerschaft? Regierungsprogramm? Der Leserbrief des kranken alten Mannes führt zurück in das wichtigste und bitterste Jahr des Politikers Rau. 1987. Das Jahr, in dem ein schräger Deutscher namens Mathias Rust mit einer Cessna auf dem Roten Platz in Moskau landete. Das Jahr, in dem Mike Tyson Weltmeister im Schwergewichtsboxen wurde. Das Jahr, in dem der CDU-Politiker Uwe Barschel über dubiose Machenschaften stürzte und tot in einer Badewanne landete. Hit des Jahres 1987 war „Voyage Voyage“ von Desireless. Millionen gingen damals ins Kino, um sich den zweiten Otto-Film anzugucken.

1987, dieses vergessene, graue BRD-Jahr, ist auch das Jahr einer Bundestagswahl. CDU-Kanzler Helmut Kohl, der gerade den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow mit Joseph Goebbels verglichen hatte, trat zur Wiederwahl an. Helmut Kohl, der katholische Machtpolitiker aus der Pfalz, war kein sonderlich populärer Bundeskanzler. Johannes Rau, der große Bonmot-Erzähler aus Wuppertal-Barmen, war hingegen der beliebteste Politiker in Deutschland. 1985 hatte er für die NRW-SPD das beste Ergebnis ihrer Geschichte geholt. Mit 52 Prozent gewann er die Landtagswahl.

Rau und NRW. NRW und Rau. Das schien damals eins zu sein. Die Kohle, die Überwindung des Rheinland-Westfalen-Dilemmas, der blaue, eher rote Himmel über der Ruhr – und alles verpackt in einen verschwurbelten, irgendwie sozialen Dauerkanzelgruß des evangelischen Laienpredigersohnes. Heute ist es modisch geworden, über den sozialdemokratischen Ex-Regierungschef und seine fast 20-jährige „Wir in NRW“-Ära zu spotten. Dabei bot der Rauismus, die manchmal schwer erträgliche Menschenfischerei, der malmende Sound des Protestantismus damals ein echtes Alternativprogramm zu Kohl und zur Politik der neokonservativen Wende seit 1982. „Versöhnen statt spalten“ war eben nicht nur ein frömmelnder Spruch, sondern Marke für konsensorientierte SPD-Politik, die zumindest den Versuch unternahm, bisher marginalisierte Bevölkerungsgruppen wie die türkischen „Gastarbeiter“ oder seit den Wirtschaftskrisen der 1970er an den Rand Gedrängte mitzunehmen.

Doch die Wahl 1987 kam für Rau zwei Jahre zu spät. Er verlor das Duell Wuppertaler gegen Oggersheimer klar. Raus Problem: Die SPD hatte ihn unmittelbar nach seinem 1985er-Triumph in NRW zum Kanzlerkandidaten ernannt. Fast zwei Jahre lang tingelte er als Kandidat durch die kritische Öffentlichkeit, während Kanzler Kohl trotz mittelmäßiger Wirtschaftsdaten mit seiner Botschaft „Weiter so!“ durchdrang. Zudem hatte Rau keinen Koalitionspartner, keine glaubwürdige Machtperspektive. Mit den Grünen von Thomas Ebermann und Jutta Ditfurth konnte und wollte Rau nicht zusammenarbeiten.

Nach der Rau-Niederlage von 1987 machte eine SPD-Kommission den Kandidaten für die Niederlage verantwortlich: „Solange der SPD die Modernisierung der Wirtschaft nicht zugetraut wird, sondern sie alleine für die soziale Absicherung dieses Modernisierungsprozesses zuständig ist, so lange wird es um die Mehrheitsfähigkeit der SPD schlecht bestellt sein“, schrieben die Parteistrategen auf. Rau kehrte zurück nach Düsseldorf. Mit Erich Honecker sollte er nie als Bundeskanzler zusammen treffen. MARTIN TEIGELER