Immer nur Ball im Kopf

Die Allgegenwärtigkeit des runden Dings vor der WM ist phänomenal. Egal ob in Werbung, Kunst, Politik oder Frauenzeitschriften – alles ist Fußball. Wen es noch nicht nervt, der kann zahlreiche Ausstellungen zum Thema besuchen, oder eine, die sich dem Thema der allseitigen Präsenz widmet

von René Martens

Auch wer mit Fußball gar nichts im Sinn hat, ist ständig mit ihm konfrontiert. Der öffentliche Raum wird von entsprechender Werbung penetriert, und überall stößt man auf Alltagsgegenstände, die durch einen Bezug zur Balltreterei auffallen – ein Trend, der während der WM Ausmaße annehmen wird, die man sich jetzt noch gar nicht auszumalen vermag. Auf diese Entwicklung bezieht sich die Ausstellung „Ball im Kopf – Kult ums Kicken“, die derzeit im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen ist.

„Ball im Kopf“ dreht sich um fußballkulturell inspirierte Desginobjekte, seien sie aus Lego oder Porzellan. Vom „SoccerHocker“, einer umgedrehten Bierkiste mit Kunstrasenpolster, bis zu einem Einkaufsnetz, das einem Ball nachempfunden ist und passenderweise den Produktnamen „Netzer“ bekommen hat – die Kuratoren Nils Jockel und Jens Oesterreicher haben sowohl nützliche als auch unter dem Aspekt des Gebrauchswerts eher fragwürdige Schmuckstücke zusammengestellt.

Auch fußballbezogene Werbung nimmt in der Ausstellung einigen Raum ein. Zu sehen ist beispielsweise ein Werbespot, in dem zwei Platzwarte mit ihren Kreidewagen das Logo eines Autoherstellers in den Rasen zeichnen. „Zur emotionalen Aufladung“ von Produkten fast aller Art eigne sich Fußball „nicht weniger als Sex“, sagt Jockel.

Mit dem Thema Sex spielen einige Foto-Exponate in „Ball im Kopf“, und am Rande geht es darum auch im anregendsten Beitrag des Ausstellungskatalogs: Uta Brandes, Professorin an der International School of Design in Köln, verficht hier die These, Fußball sei eigentlich ein Frauensport, „in dem Männer wildern“: „Beim Fußballspielen ... benehmen sich Männer so, wie es als typisch für Frauen gilt“, schreibt die Designfachfrau. Die Kicker brächten „enorme Gefühlswallungen“ zum Ausdruck. „Sie brüllen, weinen, brechen zusammen, lachen, hüpfen vor Freude ... Im Fußball übertrifft der expressive Körperkontakt ... alles mädchenhaft Dagewesene: Da werden Arme und Beine ineinander geschoben ... oder gar ... obszön an der gegnerischen Hose gefummelt.“ In diesem Zusammenhang verweist Brandes darauf, dass „ständiges Anfassen und der Wunsch nach großer Körpernähe typische Vergewisserungswünsche von Frauen beziehungsweise Mädchen“ seien.

Als augenzwinkerndes Statement lassen sich auch die vordergründig wirren Knäuel interpretieren, die Sabine Rosenthal unter dem Titel „Fußballzeichnungen“ angefertigt hat: Während der EM 2004 hat sie bei einigen Spielen jede Ballbewegung mit einem Strich festgehalten. Was das Fernsehen mit modernsten grafischen Mitteln praktiziert – bei der Nachbereitung eines Spiels wichtige Kombinationen noch einmal auf den Bildschirm zeichnen –, treibt die Kunst auf die Spitze.

Neben zahlreichen Kommentaren, die in unterschiedlichem Maße komisch zu verstehen sind, findet sich mit „Asylpolitik Schweiz“ auch ein ausschließlich ernst gemeinter: Hinter dem Titel verbirgt sich ein Tischfußballspiel in Form des Schweizer Wappenkreuzes. Der Künstler Alex Sonderegger hatte bei einer Recherche Flüchtlingsunterkünfte besucht und festgestellt, dass die Bewohner vor allem beim Tischfußball ihre Langeweile zu vertreiben versuchen. Die Bälle aus Schokolade sind eine Anspielung auf die Vorstellung der Asylbewerber, die Schweiz sei ein „Schokoladenland“.

Das bekannteste Exponat von „Ball im Kopf“ ist Paul M. Smiths „Robbie Williams Series“, die 2000 für die CD „Sing When You‘re Winning“ entstanden. Diese Bilder waren auch bei der am 8. Januar zu Ende gegangenen Ausstellung „Rundlederwelten“ in Berlin zu sehen.

Obwohl fast alle beteiligten Künstler auf ironische Weise mit Aspekten des Fußballs spielen: Niemand nähert sich dem Thema von oben herab. Bei einigen Exponaten handelt es sich sogar um Kunst für den Fußball. So werkelten Mitarbeiter einer Werbeagentur, die die Freizeitfußballmannschaft FC Univers gegründet hatten, nebenbei an aufwendigen Bildmotiven, die sie per Mail quasi als Einladungskarten für ihre Spiele verschickten; was bisher nur ein interner Zirkel kannte, bekommt im Rahmen der Ausstellung nun eine größere Öffentlichkeit zu sehen. Und das Hamburger Duo „11 Freundinnen“ verfolgte ganz hehre Ziele, als es die klassischen grün-gelben Küchenschwämme mit nicht minder klassischen Zitaten von Möller, Völler und Herberger bedrucken ließ: Die Freizeitfußballerinnen trugen so dazu bei, dass sich ihr Verein, der SC Sternschanze, eine Flutlichtanlage leisten konnte.

„Ball im Kopf – Kult ums Kicken“, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Steintorplatz 1 (am Hauptbahnhof), bis 26. Februar; Katalog (incl. einer DVD mit Kurzfilmen und Videoclips) 25 Euro