„Wir brauchen Sanktionen bei Verstößen“

Der Umgang von Unternehmen und Behörden mit den Daten der Bürger ist oft rechtswidrig, sagt Thilo Weichert, oberster Datenschützer in Schleswig-Holstein. Sie werden nicht bestraft, wenn sie den Betroffenen die Auskunft verweigern: „Das ist eine echte Gesetzeslücke“

taz: Viele Fälle belegen, dass viele Adressfirmen und Behörden bei Kundennachfragen mauern. Wieso?

Thilo Weichert: Die Datenschutzpraxis ist sehr notleidend. Behörden und Wirtschaft sind offenbar nicht gewohnt, mit dem Auskunftsrecht umzugehen.

Was kann man tun, wenn sich Firmen taub stellen?

Wenn das Unternehmen behauptet, es würden keine Daten vorliegen, dann muss jeder Betroffene anhand von Indizien nachweisen, dass die Behauptung nicht stimmt. Mithilfe der Gerichte und Datenschützer wird dann garantiert eine Auskunft durchgesetzt.

Welche Strafen drohen Unternehmen, die keine Auskunft geben?

Für die Verweigerung der Auskunft gegenüber den Betroffenen ist im Bundesdatenschutzgesetz keine Strafe vorgesehen. Das ist eine echte Gesetzeslücke. Nur wenn ein Unternehmen auch gegenüber der Aufsichtsbehörde die Auskunft verweigert, kann dies als Ordnungswidrigkeit mit bis zu 25.000 Euro bestraft werden. In der Praxis passiert das aber nur sehr selten.

Ist das Bundesdatenschutzgesetz ein Papiertiger?

Das Gesetz liefert gute Regelungen, nur hapert es gewaltig an der Umsetzung. Das liegt daran, dass die Aufsichtsbehörden personell und technisch katastrophal ausgestattet sind und deshalb den Problemen nicht hinterherkommen.

Fast jeden Konsumenten benotet die Wirtschaft je nach Bonität und Kaufkraft mit einer Punktzahl. Welches Risiko ist mit dem Scoring für die Bürger verbunden?

Scoring ist eine äußerst diskriminierungsträchtige Methode, weil nicht kontrolliert werden kann, welche Daten in die Bewertungen einfließen. Scoring teilt die Menschen in gute und schlechte Kunden ein und schließt viele Leute von gesellschaftlichen Aktivitäten aus.

Die Wirtschaft zählt Scores nicht zu den personenbezogenen Daten und begründet dies mit den vielen allgemeinen Daten, die in einen Score einfließen, wie der Wohngegend und der Berufsgruppe eines Kunden.

Diese Position der Wirtschaft ist ein Versuch, sich der Kontrolle zu entziehen. Scores sind eindeutig personenbezogene Daten. Die Scoring-Praxis ist rechtswidrig, wenn persönliche Daten, die für das Vertragsverhältnis eigentlich nicht relevant sind, darin einbezogen werden und Bürger deshalb benachteiligt werden. Dazu gehören Angaben wie Adresse, Familienstand, Wohngegend oder Konfession.

Wie kommt man zu mehr Transparenz im Adressmarketing?

Wir müssten den Spieß umdrehen: Ein Scoring der Wirtschaft würde bei den Konsumenten für mehr Transparenz sorgen. Per Warentest könnte man bewerten, ob sich Unternehmen an bestimmte Standards halten. Wissenschaftliche Untersuchungen müssten zunächst klären, welche Standards gelten sollen.

Ist ein effektiver Datenschutz angesichts der technischen Möglichkeiten der Wirtschaft überhaupt noch möglich?

Mit Gesetzen allein ist es nicht getan. Ich glaube, dass Datenschutz gerade mithilfe der Technik durchgesetzt werden kann. Sonst wäre der Einsatz von Technik nicht mehr demokratie- und grundrechtsverträglich. Wir brauchen aber auch mehr Kontrolle, eine bessere Beratung für die Konsumenten und echte Sanktionen bei Verstößen.

INTERVIEW: TARIK AHMIA