Nach dem Rausch der Nacht

MUSIK Eine Dokumentation erzählt die Geschichte des vor allem im Ausland erfolgreichen Berliner Techno-Acts Modeselektor

Es geht viel um die Erdung in einem verrückten Business, ja um Demut

Techno aus Berlin ist längst eine Marke wie Champagner oder Emmentaler Käse. Wie diese Marke entstanden ist, das ist inzwischen Stoff für eine eigene Geschichtsschreibung, Techno ist nicht mehr einfach nur da, sondern will auch in immer mehr Büchern und Filmen hergeleitet sein. Auch die eben auf DVD erschienene Dokumentation „We are Modeselektor“ über den vor allem im Ausland überaus erfolgreichen Berliner Techno-Act leistet da einiges. Sie erzählt die Geschichte von Gernot Bronsert und Sebastian Szary, die beide in Dörfern im Berliner Umland aufgewachsen sind, wie so viele der Szene-Aktivisten im heutigen Berlin, dort erste Raves für die Dorfjugend veranstaltet und begonnen haben, selbst Musik zu produzieren und sich am Mixen von Platten zu versuchen. Irgendwann lockt das große Berlin, wohin die beiden Freunde bald ziehen und dessen weltweit bekannter Exportartikel sie heute sind.

Modeselektor eignen sich gut für die geradezu klassische Erzählung von zwei Landeiern, die den Weg in die große weite Welt finden, bei all dem Erfolg das Herz aber immer noch am rechten Fleck haben. So repräsentativ für so viele Karrieren in der heutigen Technogeneration Berlins die Biografien der porträtierten Musiker auch sein mögen, so sehr bekommt man aber auch zwei Solitäre vorgestellt, zwei eigenwillige Charaktere, die im Ausland als Botschafter Berlins wahrgenommen werden wie kaum ein anderer Techno-Act und die doch für etwas sehr Eigenständiges in der hiesigen Szene stehen.

Das geht schon damit los, dass der DJ oder Technoproduzent normalerweise ja ein Einzelgänger ist, der rücksichtslos seine eigene künstlerische Vision verfolgen kann. Wird von ihm erzählt, werden wir gerne schnell, wie im Berlin-Techno-Spielfilm „Berlin Calling“, mit Idiosynkrasien und Drogenabstürzen konfrontiert.

In „We Are Modeselektor“ dagegen findet sich auffällig viel Normalität hinter all dem Feier-Wahnsinn. Man sieht zwei respektvoll miteinander umgehende Freunde, die heute in Mexiko und morgen in Polen die Mengen bespaßen, nach getaner Arbeit aber auch schon wieder zu Frau und Kind zurückkehren und immer mal wieder ihre Mamas auf dem Land besuchen. Es geht viel um Gegensätzlichkeiten, um Yin und Yang, in dieser Dokumentation. Um Erdung in einem verrückten Business, um Demut, obwohl man bereits mit Radiohead, einer der größten Bands des Planeten, auf Tour war, um die Stille auf dem Lande nach dem Rausch der Nacht. Die zwei Freunde bilden eine fast schon eheartige Gemeinschaft, in der sich zwei Partner ganz offensichtlich perfekt ergänzen und erst dank der Symbiose die Energie freisetzen, die Modeselektor so erfolgreich macht. Gernot Bronsert übernimmt den Part des eher Introvertierten, der sich auf der Bühne gerne hinter seinen Maschinen versteckt, Sebastian Szary dagegen ist eine echte Frontsau, der das Bad in der Menge liebt.

Was Modeselektor heute betreiben, ist großes Business. Mit ihrem Lieber-zu-viel-als-zu-wenig-Sound, der Rave-Techno mit HipHop und knarzigen Beats mischt und eigentlich das Gegenteil des typischen Berliner Minimal-Technos ist, spielen sie im Ausland beinahe in einer Liga mit Superstars wie Skrillex oder David Guetta. Nebenbei betreiben sie zwei Labels, auf denen die eigene Musik und die befreundeter Acts erscheint.

Und doch scheint bei Modeselektor alles eher zufällig und ohne strategischen Masterplan zu funktionieren. Die ersten selbst organisierten Partys damals in Rüdersdorf waren wider Erwarten so erfolgreich und das Logo des Duos, ein Affenkopf, hat ein Freund eher mal so aus Spaß entworfen, ohne damit zu rechnen, dass Modeselektor-Fans in aller Welt dieses Logo heute stolz auf ihren T-Shirts spazieren tragen oder es sich gar tätowieren lassen. ANDREAS HARTMANN

■ Modeselektor: „We Are Modeselektor“, DVD (Monkeytown)