Erfolg ohne Substanz

Aus Washington Adrienne Woltersdorf

Frisch und beschwingt kam Bundeskanzlerin Angela Merkel von ihrem Besuch im Weißen Haus ins nahe liegende St. Regis Hotel, um sich dort mit deutschen Pressevertretern zu treffen. Kein Zweifel, ihr dreistündiger Besuch bei US-Präsident George W. Bush war erfolgreich verlaufen. Das sagte nicht nur sie selbst. Auch ein strahlender Bush hatte Merkel als „sweet and charming“ gelobt und sich sehr angetan gezeigt. Die amerikanischen Medien würdigten das, was beide Seiten „verbesserte deutsch-amerikanische Beziehungen“ nennen, durch genug Sendeplatz beim Nachrichtengiganten CNN.

Sie sehe die Notwendigkeit von Kontinuität und Verlässlichkeit in den Positionen Deutschlands, sagte Angela Merkel anschließend. Denn in den Zeiten des Kalten Krieges sei Deutschland unter dem amerikanischen Schutzmantel „gut gefahren“. Jetzt befinde man sich in einer neuen Phase, mit einer neuen Bedrohungslage, nämlich der des Terrorismus. Dieser Gefahr könne kein Land im Westen allein begegnen. Wichtig seien zudem die gemeinsamen Aufgaben beider Staaten in der Nato sowie auf ökonomischer, kultureller und wissenschaftlicher Ebene – bis hin zu einer gemeinsamen Haltung gegenüber dem erstarkenden China.

„Mir geht es darum, intensive Kontakte zu haben“, sagte Merkel vor den gut 100 Journalisten, die in den festlichen East Room des Weißen Hauses gekommen waren. Später erklärte sie in kleinerer Runde, seit ihrer Zeit als CDU-Umweltministerin sei sie überzeugt, dass man sich kennen lernen muss, um überhaupt gemeinsame Kompromisse schließen zu können. So will die Bundesregierung in Gestalt der Kanzlerin zunächst neues Vertrauen schaffen – durch einen ehrlichen und engen Meinungsaustausch.

Den war Merkel, trotz des rein „auf atmosphärische Verbesserung“ ausgelegten Treffens auch gleich angegangen mit ihrer Kritik am international heftig umstrittenen US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba, die sie im Gespräch mit Bush erneuerte. Auch mit ihrer grundsätzlichen Mahnung zur Wahrung freiheitlicher Grundwerte präsentierte sich die Kanzlerin selbstbewusst. Bush jedoch zeigte sich von dieser Kritik gänzlich unbeeindruckt. Er war unterdessen bemüht, seine neue persönliche Beziehung zur Kanzlerin zu demonstrieren: Er habe mit Merkel über ihre Hoffnungen, ihre Ziele und ihren Werdegang geredet, verkündete er zum Auftakt der Pressekonferenz. Er verabschiedete sie augenzwinkernd mit: „Ich bin sicher, dass wir eine sehr intensive Beziehung haben werden.“

Wenig euphorisch gaben sich die Washingtoner Analysten: Merkels Besuch ist nach Ansicht von Stephen Szabo, Deutschlandexperte an der Washingtoner Johns-Hopkins-Universität, „ein Erfolg ohne Substanz“. Beide Seiten seien an einer atmosphärischen Verbesserung interessiert, aber in Sachfragen „bleiben die Differenzen zwischen beiden Ländern bestehen“, sagte der Professor laut Medienberichten. Merkels Kritik an der US-Politik des „Kriegs gegen den Terror“ habe in Washington keinerlei Einfluss. „Die Westeuropäer werden kein strategischer Partner mehr sein wie in den Zeiten des Kalten Krieges, sie fühlen sich nicht mehr bedroht und werden nicht mehr den amerikanischen Schutz suchen“, so der Analyst und Fellow des German Marshall Fund, Robert Kagan, in der Washington Post von Sonntag.

Als „naiv“ bezeichnete Szabo die deutschen Hoffnungen, Probleme künftig multilateral zu lösen. Schon über den richtigen Umgang mit den Nuklearanstrengungen Irans könnte es mittelfristig zu einer Konfrontation zwischen den USA und Europa kommen, „auch wenn die USA kaum realistisch eine militärische Option erwägen werden“. Aber auch Berlin müsse mehr Realismus zeigen, sollten die diplomatischen Bemühungen um den Iran scheitern.