Sprung in der Platine

RÜCKRUFAKTION Wenn bei Politikern die Sprechwerkzeuge klemmen

Die Rückrufaktion für durchgebrannte Polit-Roboter könnte sich weltweit auf die Politik auswirken

Die Besucher der Jahreshauptversammlung der Mittelstandsvereinigungen in der Stuttgarter Liederhalle verfolgten mit schreckgeweiteten Augen die Rede des FDP-Vorsitzenden und Außenministers Guido Westerwelle. Der liberale Gastredner wiederholte nun schon zum sechsten Mal hintereinander die Forderung seiner Partei nach umfassenden Steuersenkungen für die Leistungsträger im Lande – und zwar wortwörtlich und in stets der gleichen Intonation, begleitet von den immer gleichen, mechanischen Auf-und-ab-Bewegungen der Arme. Allmählich wurde das selbst den hartgesottensten Marktradikalen unter den Zuhörern zu viel. Als Westerwelle dann auch noch nach den Worten „Es darf nicht angehen …“ mitten im Satz stecken blieb und wie bei einer gesprungenen Schallplatte diese Stelle mehrmals wiederholte, musste er von zwei Bodyguards von der Bühne geführt werden.

„Vermutlich ein Sprung in der Hauptplatine“, konstatierte Robert Niehauser, Professor für Robotik an der Ruhruniversität Bochum. „Dieser Roboter-Typ ist bekannt für die Anfälligkeit seines Sprachmoduls.“ Offensichtlich war Westerwelles Aussetzer nicht die erste Panne. Die Augsburger Firma Ropo, weltweit führender Hersteller von Politrobotern, musste die in vielen Parteien und Parlamenten eingesetzten High-Tech-Politiker zur Reparatur ins Werk zurückrufen. Klemmende Sprechwerkzeuge, sich in widernatürlichen Positionen verhakende Arme und unkontrollierte Sprachausgabe waren die häufigsten Fehler, die Ropo zum Handeln zwangen – offenbar sind die neuesten Modelle der Poltronics-Serie technisch noch nicht voll ausgereift.

Die ersten Politroboter, die in Japan ab 1967 und in Deutschland ab 1970 eingesetzt wurden, waren noch mit hydraulischen Zylindern als Antriebsquellen ausgestattet. Diese Modelle – man denke nur an Rainer Barzel oder Helmut Schmidt – waren äußerst robust, und es kam praktisch nie zu Störfällen. Im Jahr 1973 baute der deutsche Robotikpionier Ropo den weltweit ersten Parlamentarierroboter mit vier elektromechanisch angetriebenen Rotationsachsen und mechanischer Redezeitbegrenzung. Mitte der Achtzigerjahre setzten sich dann elektrische Stellantriebe mit Mikroprozessorsteuerung durch, die auch heute noch fast ausschließlich Verwendung finden. Doch mittlerweile verfügen die modernen Politautomaten über derart viele Features, dass die hochkomplexe Programmierung mehr und mehr Schwierigkeiten bereitet.

Insgesamt sind rund 7.000 Systeme von technischen Problemen betroffen – dies entspricht fast einer ganzen Jahresproduktion von Ropo. Der Rückruf könnte sich noch in den Nahen Osten, nach Südamerika und Afrika ausweiten. Nur Japan ist nicht betroffen. Ropo hat mittlerweile eine Reparaturmethode für die klemmenden Sprachmodule entwickelt und verschickt erste Reparatursets. Zum ersten Mal teilte die Firma auch Details dazu mit, warum das Modul klemmen kann: Demnach befindet sich in den Systemen ein Widerstand, der für den „human touch“, die richtige Überzeugungskraft beim Argumentieren, sorgen soll. Dieses Teil reibt über eine Metalloberfläche. Abnutzung und Umwelteffekte können indes für zu viel Reibung sorgen – das Modul droht, wie im Falle Westerwelles, stecken zu bleiben. Nun soll ein kleiner Abstandshalter in das Sprachsystem montiert werden, der die Reibung vermindert. „Wenn der Abstandshalter eingebaut ist, kommt es nicht mehr zu unnötiger Reibung, der Ursache für die peinlichen Wiederholungen“, erklärte Ropo-Sprecher Georg Ferst. Nichts sei wichtiger für das Unternehmen als die Sicherheit und Verlässlichkeit seiner Produkte. Ferst drückte zudem sein Bedauern aus für die Aufregung, die die Rückrufaktion bei den Kunden ausgelöst habe.

Wohlfeile Worte, für die sich die betroffenen Parteien allerdings nichts kaufen können. Der Imageschaden ist enorm, die Politikverdrossenheit der Bürger wird nach den jüngsten Aussetzern neue Höhen erklimmen. Und schon drohen neue Zwischenfälle das ganze Marktsegment der Politroboter endgültig in Verruf zu bringen: Der Tod eines Bundeswehrsoldaten in Afghanistan nach einem Zusammentreffen mit Karl-Theodor zu Guttenberg ist nach ersten Erkenntnissen auf einen Kurzschluss in der Elektronik des Verteidigungsministers zurückzuführen. Der Untersuchungsbericht konstatiert lapidar: „Durch die Gelschicht am ‚Kopf‘ des Roboters kann unter Umständen Wasser eintreten. Das kann im ungünstigsten Fall zu einem Kurzschluss führen.“ Offenbar standen die Greifsysteme des Bundesverteidigungsministers unter Strom, als er dem ahnungslosen Feldwebel die Hand schüttelte. RÜDIGER KIND