Um Leben & Tod

Die radikale Tierschützerin Hildegard Dobbertin polarisiert. Sei es durch fortgesetzte Attacken aufs Hamburger Tierheim, sei es durch Briefe an die Abgeordneten, in denen sie das neue Hundegesetz anprangert, bei dem es um „Leben und Tod von 40.000 Hunden“ gehe. Zurück bekommt sie meistens Absagen. Doch die ehemalige Chefsekretärin gibt so schnell nicht auf

von Christine Jähn

Sie bombardiert die Zeitungsredaktionen seit Jahren regelmäßig mit dicken Stapeln bedruckten Papiers, nennt sie Rundschreiben. Auch alle 121 Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft werden bedacht – und der Chef des Hamburger Tierheims, Wolfgang Poggendorf. Der hat gegen sie bereits juristische Schritte unternommen, einige ihrer verbalen Angriffe gingen ihm doch zu weit. Poggendorf schnauft tief durch, wenn er den Namen Hildegard Dobbertin hört. „Die Frau hat eine Energie, das ist unglaublich“, sagt er. „Ich wünschte, man könnte sie in positive Energie umwandeln.“

Norderstedt, ein Wohnblock Im Grünen. Vor der Tür der Etagenwohnung stehen die Fressschalen für ihren Kater, daneben ein verkümmerter Blumenstock. Eine kleine, schlanke Frau in Hose und Wollpullover öffnet die Tür. Sie träg eine große dicke Brille, die kurzen grauen Haare widersetzen sich der Schwerkraft. „Kommen Sie doch herein“, sagt sie und bittet darum, den Kaffee zu kochen, denn : „Ich sehe leider nicht mehr so gut.“

Im Wohnzimmerschrank stehen gut sortierte Pappschachteln und Ablagekörbe, gefüllt mit abwimmelnden Briefen aus Pressestellen und Vorzimmern der Hamburger Behörden. Wie viele Briefe sie schon geschrieben hat, weiß sie nicht. „Mein Sohn sagt immer, Mama, Du kannst nicht die Last der Welt tragen“, erzählt sie. Das rührt sie. Teilen kann sie seine Sorge nicht. Für die Tiere, „für die mache ich das“, sagt sie, und ihre Stimme klingt noch ein wenig fester und energischer als sonst.

Ihr ganzes Geld steckt Hildegard Dobbertin in die Tierliebe. „Ich kaufe mir nicht einmal Klamotten“, berichtet sie und nippt an ihrem schwarzen Kaffee. Jede Woche bezahlt sie einige Stunden eine junge Frau, die zu ihr in die kleine Zweizimmer-Wohnung kommt, ihr die Post vorliest und hilft, die unzähligen Schreiben, die sie verfasst, in Kuverts zu packen. Dobbertin sieht nur noch helle und dunkle Schatten. Von ihrer Sehkraft sind ihr nur fünf Prozent geblieben.

Wenn in ihrer Wohnung das große schwarze Telefon klingelt, dann greift sie zu dem geschwungenen Hörer. Viele Male die Woche erfährt sie an diesem Hörer davon, was Tieren Schlimmes widerfährt. Die Anruferinnen sind Bekannte, die ihr einen Zeitungstext vorlesen oder auch Menschen, die mit Tieren zu tun haben und ihr über erlebte Missstände berichten. Aus dem Tierheim und auch aus dem Tierschutzverein wird sie auf dem Laufenden gehalten. Ehemalige Mitglieder sind unter den Informantinnen, auch derzeitige Angestellte des Tierheims.

Wenn Dobbertin genügend Informationen beisammen hat oder ihr ein Widerspruch besonders auffällt, dann schreibt sie. Sitzt an ihrem Computer und tippt, meist seitenlange Texte, die sie im Kopf ausformuliert. Der Tierschutz ist für sie voll mit unhaltbaren Widersprüchen: dass einzelnen Tieren nicht geholfen werden kann, weil kein Einsatzwagen des Tierschutzes – die so genannten „Struppiwagen“ – anrückt; oder dass es viel Geld kosten kann, ein Tier im Tierheim Süderstraße abzugeben.

Wirtschaftlichkeit, Kapazitätsgrenzen – diese Argumente des Tierheims lässt die alte Dame nicht gelten. Am liebsten würde sie den Vertrag zwischen Tierheim und Stadt sehen. Sie will wissen, ob sie in dem Vertragstext eine Antwort findet darauf, dass manchen Tieren nicht geholfen wird. Sie hat diesbezüglich mehrere Anfragen an die Stadt verfasst. Bekommen hat sie eine Absage. Dobbertin springt auf, um das Schreiben zu holen. Sie hat es schnell gefunden. Denn die Briefe in den Pappschachteln kann sie auseinander halten. Die Schachteln sind nach Themen geordnet: Tierheim und Hundegesetz steht beispielsweise drauf. Dobbertin merkt sich die Inhalte und kann sie durch Abzählen der gehefteten Seiten wiederfinden.

Die Briefe kann sie nur selbst verfassen, weil sie einen blindengerechten Computer besitzt. Der Bildschirm bringt ihr die Buchstaben gut 20 Zentimeter groß vor ihre dicke Brille, doch auch die kann sie nur mit einer zusätzlichen Lupe einzeln betrachten. Doch weil die Tastatur mit fühlbaren Zeichen präpariert ist, findet sie sich zurecht. Tippen hat sie schließlich schon als junge Frau gelernt. Mit ihrem Ehemann baute sie später – nach dem Krieg – in Kiel mehrere Kinos auf. „Ich war Geschäftsführerin“, sagt sie, dreht den Kopf zur Seite und überlegt einen Augenblick: „Aber sprechen wir nicht so viel von mir, lieber über die Tiere.“

Ein wenig erzählt sie doch noch: Nach ihrer Scheidung wurde sie in den 60er Jahren Chefsekretärin des damaligen Arbeitgeberpräsidenten. Nach 15 Jahren wechselte sie für weitere zehn Jahre in das Chefsekretariat einer international agierenden Firma. Dann ging sie in Rente. „Das Denken“, sagt Dobbertin, „das habe ich aber nicht verlernt.“

Noch vor gut fünf Jahren hat sie streunende Katzen und Kater in ihrem Norderstedter Viertel gefüttert und zum Kastrieren gebracht. „Vernünftiger Tierschutz muss auch solche Schritte beinhalten“, findet sie und nickt mehrfach mit dem Kopf, wartet auf Zustimmung. In dem Hamburg, in dem sie lebt, darf es nicht sein, dass Tiere leiden und Menschen ihnen nicht helfen. Wenn ihr ein Zeitungsbericht vorgelesen wird, von einer Katze, die verletzt ist, und keiner hilft, dann fällt ihr immer ein Name ein: „Poggendorf“. Der Leiter des Tierheims sei schließlich von der Stadt vertraglich zu Tierschutzmaßnahmen verpflichtet, findet sie.

Wenn Dobbertin in diesen Monaten erfährt von dem strengen Hamburger Hundegesetz, bei dem Tiere bestimmter Rassen erst beweisen müssen, dass sie nicht gefährlich sind, versteht sie die Welt nicht mehr. „In unserem Rechtssystem ist jeder so lange unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist“, sagt sie. „Jetzt werden 40.000 Hunde zu Bestien gemacht.“ Wahrscheinlich würden Juristen das nicht machen, meint sie, und wahrscheinlich wisse der Justizsenator nichts von dem neuen Gesetz, und so fragte sie den Justizsenator Roger Kusch schriftlich: „Kann die Stadt Hamburg ein Gesetz erlassen, bei dem 121 Personen, die Nicht-Juristen sind, die endgültige Entscheidung über die Verabschiedung des Gesetzes haben, in dem es über Leben und Tod von 40.000 Hunden geht?“

Der Kater von Hildegard Dobbertin heißt Romeo, in ihrer Wohnung versteckt er sich hinter einer Kiste. Nur seine grauen Ohren, die zeigt er. „Mein Romeo“, sagt Dobbertin, „ist mein ganzes Glück.“