Praxen bleiben morgen dicht

Ärzte protestieren gegen Vernichtung ihrer beruflichen Existenzen und die Kassen gegen den Ärzteprotest

Nur eines haben Ärzte und Krankenkassen in der derzeitigen Debatte um das Gesundheitssystem gemein: Beide Interessengruppen sehen sich als Opfer einer falschen Politik. Während die Mediziner morgen bundesweit und auch in Hamburg gegen ein Vergütungsmodell streiken, das sie als existenzbedrohend geißeln, beklagt der Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) den Anstieg der Kosten für Arzneimittel und Behandlungen. Für die Ärzteproteste bringen die Kassen nur begrenzt Verständnis auf. „Die Honorare steigen“, sagte gestern der Leiter der VdAK-Landesvertretung Hamburg, Günter Ploß: „Durch die steigende Zahl an Ärzten gibt es aber ein Verteilungsproblem.“

Die Mediziner selbst beschreiben kein Verteilungs-, sondern ein Existenzproblem. Der Hamburger Landesverband der Ärztevertretung „Hartmannbund“ verstieg sich gestern gar zu der Aussage, Mediziner seien die heutigen „Arbeitssklaven der Nation“: Sie seien zeitlich ständig überfordert, von ihrer Verantwortung her belastet und völlig unzureichend bezahlt, sagte der Hamburger Vorsitzende des Berufsverbandes, Klaus Wagner.

Durch die „trostlosen“ Arbeitsbedingungen würden immer mehr qualifizierte Ärzte ins Ausland abwandern, prophezeite er. Er drohte gar, bei einem Fortschreiten dieser Entwicklung müssten Mediziner „aus Niedriglohnländern“ angeworben werden.

Auch für die Patienten verschlimmere sich die Lage von Jahr zu Jahr. Nicht die medizinische Wissenschaft, sondern die Preise der Kassen würden das Niveau der Versorgung von Patienten bestimmen. Aus Budgetgründen würden immer wieder an sich notwendige Untersuchungen eingespart.

Ploß hält dagegen, dass sich die Proteste gegen die Politik und nicht gegen die Kassen richten müssten. Bei der Steigerung der Arzthonorare seien die Kassen an Gesetze gebunden. Der Kuchen müsste aber an immer mehr Ärzte verteilt werden. Insbesondere benannte Ploß als Problem, dass sich das Verhältnis von Fach- und Hausärzten in den vergangenen Jahren umgekehrt habe: 60 Prozent der Hamburger Mediziner seien auf ein Fachgebiet spezialisiert, nur nur 40 Prozent bieten allgemeinärztliche Betreuung: „Das müsste umgekehrt sein.“

Um das Niveau der Gesundheitsversorgung zu halten, sagte Ploß, müsse die Einnahmebasis der Kassen gestärkt werden. Stattdessen fürchtet er, dass sich deren Etat bei Umsetzung der Pläne der neuen Bundesregierung noch verringern wird. Die Politik würde alle Sparbemühungen durchkreuzen. Insbesondere warnte er vor der Erhöhung der Mehrwertsteuer im Jahr 2007.

Bei einer Erhöhung von 16 auf 19 Prozent bei Medikamenten komme auf die Kassen ab dem kommenden Jahr eine Mehrbelastung von einer Milliarde Euro zu. Elke Spanner