Das großartigste Land der Welt

Die Kapelle spielt etwas Patriotisches. Dann erheben sich die Zuhörer, schwören auf die Verfassung – und sind US-Amerikaner

AUS WASHINGTONADRIENNE WOLTERSDORF

„Wir haben heute einen Iraker dabei“, sagt der Pressesprecher des US-Einwanderungsservice vielversprechend. Trotz eines beträchtlichen Bauches huscht er flink in den Fahrstuhl, um die Besucher hinauf in die Dokumentenhalle zu geleiten. „Der Iraker“ sitzt mit den übrigen 33, die heute eingeschworen werden sollen, im zweiten Stock des Washingtoner Nationalarchivs und übt einstweilen. „… so wahr mir Gott helfe …“ Aufstehen, Hand aufs Herz, hinsetzen. Einer Schulklasse gleich sitzen Männer und Frauen aller Jahrgänge aus 27 Ländern auf Holzbänken und sprechen immer wieder den Eid nach, den ihnen Phyllis Howard, die Distriktdirektorin der Einwanderungsbehörde, laut und geduldig vorspricht. Oben, im neoklassizistischen Kuppelsaal, reden indignierte Pressesprecherinnen auf Familienangehörige und Journalisten ein, damit sie ihre Kamerablitzlichter ausschalten. „Wir wollen sie doch noch behalten“, mahnt eine junge PR-Beauftragte im Kostüm und zeigt auf das Allerheiligste: „The constitution“. Die originale Verfassung, mit den Unterschriften von Männern wie James Madison und George Washington, gebettet in einen gläsernen Sarkophag, eingerahmt von schweren metallenen Goldtressen. Gepanzert, links und rechts beäugt von zwei uniformierten Wächtern. Daneben, unter dickem Glas, die „Bill of Rights“ und die amerikanische Unabhängigkeitserklärung.

„Wir suchen uns stets Orte besonderer nationaler Bedeutung für unsere Einbürgerungszeremonien aus“, sagt Phyllis Howard, die selbst gleich die Zeremonie in Jeans und Pullover beginnen wird. Neulich war es der Oberste Gerichtshof in Texas, davor der von New York. Mal spricht der US-Präsident persönlich, mal sein Vize, heute ist es der Justizminister Alberto R. Gonzales, der selbst als Junge mit seinen Eltern aus Mexiko in die USA immigrierte. „Heute ist ein sehr wichtiger Tag in Ihrem Leben,“ wird Gonzales gleich zu den 34 Männern und Frauen sagen, die US-BürgerInnen werden wollen, „Amerika ist das großartigste Land auf dieser Erde, gib ihm mehr, als du von ihm bekommst.“ Als die Neubürger in alphabetischer Reihenfolge, von Aserbaidschan bis nach Vietnam geordnet, im Gänsemarsch von Phyllis geführt in den Kuppelsaal einmarschieren, schmettern vier Musiker in Marineuniform „etwas Patriotisches“. Ein junger Mann aus Trinidad und Tobago gibt seiner unter den Zuschauenden sitzenden Familie heimlich mit der linken Hand ein V. Das Siegeszeichen. „Amerikas Busen ist bereit nicht nur für die wohlhabenden und respektablen Fremden, sondern auch für die Unterdrückten und Verfolgten aller Nationen und Religionen, die wir willkommen heißen und einladen, an all unseren Rechten und Privilegien teilzuhaben.“ So begrüßte fast auf den Tag genau vor 223 Jahren George Washington irische Immigranten in ihrer neuen Heimat Amerika. Auch dieses Originaldokument liegt hier im schummerigen Licht eines Glaskastens.

Trompetensolo, Einmarsch der Fahnenträger, aufstehen, hinsetzen. Einzeln werden die Kandidaten mit Namen aufgerufen. Phyllis Howard schmettert in den Kuppelsaal, dass der US-Einwanderungsservice alle Anträge geprüft und die hier Anwesenden für würdig befunden hat, naturalisiert zu werden. Der oberste Richter Washingtons, ein schwarzer Mann in langer schwarzer Robe, tritt ernst vor die Gruppe und spricht mit ihr den Einbürgerungseid. Wie alle anderen hält auch Hafez Ali Hassan Al Saleh, der Iraker, ein kleines US-Fähnchen in seiner rechten Hand und drückt es an sein Herz. Sich nach den Blicken seiner Frau im Publikum umschauend, schwört er, seiner neuen Nation treu und immerdar zu dienen. Ja sogar für sie Dienst an der Waffe zu leisten und gegen ihre Feinde, in der Fremde oder zu Hause, zu kämpfen, wenn das Gesetz es verlange.

„Nee, da breche ich mir lieber ein Bein, habe ich mir gedacht, als wir das nachsprechen mussten,“ sagt Noureddine Elaroussi hinterher am Einbürgerungsbuffet im Café des Nationalarchivs. Der 36-jährige Marokkaner knabbert gut gelaunt an einer der US-Flaggen, die in Form von blau-weiß-roten Keksen auf dem Buffet verteilt liegen. Dazu gibt es Omelette, Mini-Hamburger, Äpfel und viel Coca-Cola. Ein Hüne in schwarzer Robe, es ist der oberste Richter, kommt, um ihm väterlich zu gratulieren. Der Mann, der Staat und Gesetz verkörpert, wünscht ihm viel Glück. Noureddine sagt, als der Richter zum nächsten gegangen ist, Krieg sei nichts für ihn und schon gar nicht im Irak. „Das sind doch auch Moslems.“ Er kam vor acht Jahren aus dem marokkanischen Rabat in die USA, nachdem er in der Green-Card-Lotterie eine US-Arbeitserlaubnis gewann. Seitdem jobbt er in Washington. Er verkauft Kameras. Eigentlich hatte er nie daran gedacht, US-Bürger werden. „Aber letztes Jahr wollte ich meinen Bruder besuchen, der in Italien lebt. Die italienische Botschaft wollte so viele Unterlagen von mir sehen, da habe ich mir gesagt, euch werd ich’s zeigen, ich werd’ erst mal US-Bürger, dann komme ich wieder.“ Noureddine ist heute sehr zufrieden. Die Feier war schön, das Buffet, na ja. Und das Wichtigste: Mit dem dunkelblauen Pass wird ihn so schnell kein Grenzbeamter mehr gängeln. „Ich habe eine große Familie, die auf allen Kontinenten verteilt lebt, jetzt kann ich endlich reisen, wohin ich will.“

Hafez Ali Hassan Al Saleh hat gar keine Zeit für das Begrüßungsbuffet. Immer wieder muss er seine US-Staatsbürgerurkunde vor die Linsen der Kameras halten. Er ist der Star des Tages. Ein Iraker, der ein Ami geworden ist. Der Pressesprecher mit dem dicken Bauch, glücklich über so viel Aufmerksamkeit, drückt ihm dezent wieder ein US-Fähnchen in die Hand. Saleh sagt leise in mühsamem Englisch, dass er happy ist, dass die USA das wunderbarste Land sind. Dass er die Republikaner wählt. Dass Bush sein Land von Saddam befreite. Hafez, der aus Nasria im Süden des Irak stammt, jobbt als Kellner gleich in zwei Washingtoner Restaurants, „sonst reicht das Geld nicht für uns drei“. Er zeigt stolz auf seine vietnamesische Frau und den 4-jährigen Sohn. Warum dieser Pass? „Ich fühle mich jetzt sicherer.“ Morgen wird er sich als Erstes nach einem besser bezahlten Job umschauen. 1991, zu Zeiten des ersten Golfkriegs, desertierte er vom irakischen Militär und floh nach Saudi-Arabien. Von dort brachten ihn Mitarbeiter der Vereinten Nationen 1997 in die USA. „Meine Green Card bekam ich aber erst, nachdem sie Saddam in seinem Loch gefunden haben“, erzählt Saleh mit einem Anflug von Schalk. Davor hätte man ihm wohl nicht getraut. In diesem Jahr will er mit dem neuen Pass endlich seine Eltern im Irak besuchen fahren. 14 Jahre lang durfte er sie nicht sehen. Immer wieder schaut Hafez, den all die Fragen erstaunen, auf seine Urkunde. Sein rechter Zeigefinger ist bis zur Hälfte lila gefärbt. „Gestern“, erklärt er lachend, „war ich hier in Washington wählen, da war ich ja noch irakischer Staatsbürger.“

Natürlich dürfe sie ihren indischen Pass behalten, wundert sich die 26-jährige Archana Vemulapalli aus Hyderabad über die Frage. „Ich bin doch Inderin!“ Den Amerikanern sei es völlig egal, wie viel Pässe man habe, solange man sich an die Gesetze hielte, seine Steuern und die Rechnungen bezahle. Wie alle Neubürger musste sie einen kleinen Einbürgerungstest bestehen: Wie heißt die Hauptstadt der USA? Wer gründete sie? Was bedeuten die Farben der US-Flagge? Kein Problem für eine System- und Netzwerkingenieurin. Vor sechs Jahren fand sie in Baltimore ihre zweite Heimat. Hier studierte sie, hier leben ihre besten Freundinnen, hier lernte sie ihren indischen Mann kennen. Mit dem neuen Pass will sie Karriere machen, denn jetzt darf sie sich auch auf Stellen bei der US-Regierung bewerben. „Im Staatsdienst gibt es spannende Jobchancen“, freut sich Archana und prostet ihrem Mann zu. Das Tolle an den USA sei, schwärmt die 1,80 Meter große Frau, „dass sie einem Chancen zum Wachsen geben“.

Das lauteste Lachen am Buffet kommt von Hannah Ndobuisi. Die Dame mit dem schleifenüberwucherten Hut hat sich so ihre Gedanken gemacht. In den Krieg würde sie für ihre neue Heimat zwar nicht ziehen wollen, „aber ich würde zum Beispiel für die Soldaten backen und stricken“, sagt sie entschlossen. Hannah kam 1999 aus Ovim in Nigeria nach Washington. Ihr Sohn lebt seit den 70er-Jahren hier. „Ich durfte mein Leben lang nicht viel lernen, aber hier konnte ich ein bisschen was nachholen, lesen und schreiben und so“, erzählt sie. „Jetzt helfe ich anderen. Denn es ist an der Zeit, dass ich dieser Gesellschaft etwas zurückgebe.“ Hannah, die vor drei Wochen ihren 83. Geburtstag feierte, sagt feierlich: „Jetzt beginnt ein neues Kapitel.“