Debatte über Neuwahlen in Polen

Regierungspartei PiS sucht einen Mehrheitsbeschaffer im Parlament. Gute Chancen für Linkspopulist Andrzej Lepper

WARSCHAU taz ■ Dass sich die Rechts- und Linkspopulisten in Polen zusammenraufen und eine gemeinsame Regierung bilden könnten, galt bislang als unwahrscheinlich. Andrzej Lepper, vorbestrafter Bauernrebell, an der Regierung? Dieses Schreckgespenst tauchte nach den Parlamentswahlen in Polen zum ersten Mal auf. Damals schüttelten die meisten Polen den Kopf: „Undenkbar!“ Am Samstag aber titelte die Gazeta Wyborcza, Polens führendes Meinungsblatt: „Stabilisierung mit Lepper.“

Doch es könnte noch schlimmer kommen, denn auch die Liga der Polnischen Familien (LPR), deren antisemitische Jugendorganisation Allpolnische Jugend immer wieder für Schlagzeilen sorgt, bekam von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine Einladung zur Aufnahme von Koalitionsgesprächen. Offiziell aber verkündet der PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski: „Am besten wären Neuwahlen.“ Meist grinst er, weiß er doch, dass das keine Partei will.

Aktuellen Umfragen zufolge würden alle Parteien – bis auf die PiS – Stimmen verlieren oder gar an der Fünfprozenthürde scheitern. Jaroslaw Kaczynski scheint davon auszugehen, dass drohende Neuwahlen zumindest eine der Oppositionsparteien dazu bringen werden, den Mehrheitsbeschaffer für die PiS im Abgeordnetenhaus zu spielen.

Tatsächlich sind alle Parteien außer dem postkommunistischen Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) zu Koalitionsgesprächen bereit. Kaczynski kann nur mit Neuwahlen drohen, weil er sich auf den Präsidenten, seinen Zwillingsbruder Lech, verlassen kann. Da der Sejm sich nicht selbst auflösen wird, müsste dies der Präsident tun. Möglich wäre dies nur, wenn der Sejm es nicht schaffen sollte, den Haushalt pünktlich zu verabschieden. Tatsächlich versuchte die PiS in den letzten Tagen, die Haushaltsdebatte zu verzögern. Parlamentspräsident Marek Jurek setzte die Beratungen für mehrere Stunden aus.

Als der PiS-Abgeordnete den Saal verließ, okkupierte einer seiner Stellvertreter von der LPR seinen Sitz und ließ die Abgeordneten über den Termin der Haushaltsverabschiedung abstimmen. „Staatsstreich“ – wetterten PiS-Abgeordnete. Die Abstimmung sei ungültig.

Nach zwei Tagen wurde ein Kompromiss gefunden, der eine pünktliche Entscheidung über den Haushalt ermöglicht. Nachdem erste Sondierungsgespräche zwischen PiS und PO erneut gescheitert sind, stehen die Chancen Leppers auf eine Regierungsbeteiligung so gut wie nie.

Doch auch Roman Giertych, Chef der Liga der Polnischen Familien, hat eine Idee: „Wenn die Opposition zusammenhält, können wir mit der Mehrheit unserer Stimmen einen Oppositionshaushalt beschließen. Die Regierung muss ihn umsetzen. Da er pünktlich verabschiedet wurde, kann auch der Präsident das Parlament nicht mehr auflösen.“

GABRIELE LESSER