EIN BERLINER IN GOA (2)
: Eine Frage des Karmas

Die Inder meinen: Ich soll das Positive sehen

Die Inder sind aufgebracht. Während ich mich langsam von dem Schock erhole, meine blutenden Wunden betrachte und mein Motorrad von der Straße räume, werden aus den drei Unfallbeteiligten langsam gut 20 Zeugen, die teilweise erst Minuten später auf der Bildfläche erschienen sind, aber alles gesehen haben wollen.

Es sei eindeutig meine Schuld, dass ich in das Bike der Einheimischen gekracht sei, sie hätten zwar vor dem Abbiegen nicht geblinkt, doch ich sei eindeutig zu schnell gewesen (ausdrücklich widersprechen möchte ich ihnen in diesem Punkt nicht). Gerade dieser Bergpass nahe Siolim sei doch bekannt für seine Gefährlichkeit.

Da ich keinen Führerschein besitze, entsteht eine lange Diskussion über die Höhe des Schmiergelds, welche äußerst kontrovers geführt wird. Mein von mir verständigter, bald darauf am Ort des Geschehens auftauchender Taxifahrer/Vermieter/Grasdealer verhandelt geschickter als der Tourist aus Berlin. Man einigt sich.

Die ersten Mails meiner deutschen Freunde beschäftigen sich mit den negativen Aspekten meines Unfalls: Geht es dir schlecht? Tut es sehr weh? Musst du zum Arzt? Ja, es geht mir schlecht, ja, die Wunden tun weh, und über den Arztbesuch sollte man den Mantel des Schweigens werfen. Der Mann hat es nicht verdient, in Zusammenhang mit dem Wort „Arzt“ erwähnt zu werden.

Meine indischen Bekannten reagieren gelassener. So etwas komme nun mal vor. Ich solle das Positive an der ganzen Sache sehen. Sie hätten alle schon gewusst, dass der Arzt ein Alkoholproblem hat. Das Jahr sei noch jung, meinem Kopf nichts passiert. Der glimpfliche Ausgang meines halsbrecherischen Stunts sei einzig und allein auf mein Karma zurückzuführen. Dieser Motorradunfall sei also ein Tag zum Feiern, nicht zum Jammern. Ich bin überzeugt.

JURI STERNBURG