BETTINA GAUSPOLITIK VON OBEN
: Naiv wie ein Achselzucken

Das Aussteigerprogramm für Taliban kann nicht klappen. Das kann man eigentlich wissen

stellen Sie sich vor, ein junger Mann bekommt alles, was sein Herz begehrt: ein tolles Auto, Macht, Drogen, nette Kumpel – und all das in der aufregendsten Stadt, die er je gesehen hat. Außerdem wird ihm eine Waffe in die Hand gedrückt, verbunden mit der Erklärung, er könne gerne plündern, wenn er Lust dazu habe. Nach einigen Jahren, wenn er sich an diesen Lebensstil gewöhnt hat, machen Sie ihm ein Angebot: Er dürfe das Tischlerhandwerk erlernen und sich nach Abschluss der Ausbildung in seine entlegene Heimatprovinz zurückziehen, um dort künftig auf redliche Weise sein Brot zu verdienen. Was glauben Sie, wie der junge Mann reagiert?

Ja, genau so. Unter anderem deshalb waren die Entwaffnungsprogramme für Milizen in Somalia kein donnernder Erfolg.

Erwachsene Somalis schüttelten seinerzeit nur die Köpfe angesichts der gutwilligen Naivität mancher Hilfsorganisationen und zahlreicher Journalistinnen und Journalisten, mich eingeschlossen. Zu unser aller Ehrenrettung sei allerdings gesagt: Gemessen an dem, was derzeit als Aussteigerprogramm für Taliban erörtert wird, waren die Versuche, somalische Milizen zu entwaffnen, realitätsnah und aussichtsreich.

Immerhin tarnten sich die Mitglieder bewaffneter Gruppen dort nicht, sondern gaben sich zu erkennen. Wer seine Waffe abgab, riskierte auch nicht sein Leben, denn fast alle Kriegsfürsten legten zumindest Lippenbekenntnisse zugunsten einer allgemeinen Entwaffnung ab. Sie wollten es sich nicht mit der zahlungsfähigen und zahlungswilligen Gebergemeinschaft verderben. In den 90er-Jahren war der Bürgerkrieg in Somalia vollständig ideologiefrei. Ein Machtkampf in seiner reinsten Form.

Von all dem kann in Afghanistan keine Rede sein. Möglicherweise gibt es noch einen Unterschied: Sind diejenigen, die in diesen Tagen über ein Aussteigerprogramm für Taliban nachdenken, tatsächlich ebenso gutwillig und naiv, wie wir es damals waren? Oder halten sie nur die Öffentlichkeit dafür?

Es ist sehr schwer vorstellbar, dass eine nennenswerte Zahl von Taliban-Kämpfern sich durch das Angebot locken lässt. Aber es ist noch schwerer vorstellbar – nein: Es ist unvorstellbar, dass eine Regierung die Achseln zuckt und erklärt, ihr fiele nun auch nichts mehr ein. Das Ausstiegsprogramm für Taliban-Kämpfer kommt einem Achselzucken ziemlich nahe. Wenn ich in Afghanistan lebte: Ich würde mir spätestens jetzt große Sorgen machen.

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: A. Losier