LESERINNENBRIEFE
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Realitätsferne Bürokraten

■ betr.: „Die Scheu vor schweren Psychofällen“, taz vom 8. 5. 13

Die Realitätsferne der Bürokraten in den Kassenpalästen, hier konkret der VdEK-Funktionäre, findet sich immer besonders in deren internen Papieren wieder! Die Verfasser des benannten Pamphlets sollten sich einmal den Veranstaltungkalender psychotherapeutischer Fortbildungen ansehen oder zum Beispiel einmal die Lindauer Psychotherapiewochen besuchen! So viel zum Thema Fortbildungsscheu.

Was soll dieses Jonglieren mit Prozentzahlen zum Versorgungsgrad, wenn keiner diese Zahlen je hinterfragt hat, niemand weiß, wie sie zustande kommen, und die Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz ein ganz anderes Bild vermitteln? Hinzu kommt die oft fehlende, weil unzureichende Unterstützung seitens der Kollegen der Psychiatrie, weil auch hier Fachärzte fehlen, so wie bei uns im Oberallgäu! Die Fachkliniken quellen über, die Sozialpsychiatrischen Zentren arbeiten am Limit, und auch die Psychiater, wenn denn vorhanden, haben Wartezeiten auf einen ambulanten Termin nicht unter drei Monaten.

Dafür jedoch wird operiert, herzkatheterisiert, geröntgt und durchs CT und MRT geschoben, dass einem integrativ denkenden Mediziner schwindlig wird! Pharmaindustrie und Medizintechnikfirmen scheffeln ungenannte Profite auf Kosten fehlgeleiteter Patienten, die auf die somatische Schiene geführt und auf dieser verführt werden. Die Ärzte und Psychotherapeuten, die dies benennen, bleiben Rufer in der Wüste! Ein Großteil der Krankenkassenbeiträge versackt im Bürokratiesumpf und nährt die Aktienkurse auch von Krankenhauskonzernen! Noch Fragen?

Nein, man sucht die Schuldigen unter den „Nachkommen“ von Freud, Adler, Jung, Frankl und Milton Erickson, die nun einmal nicht mehr als sechs bis zehn Patienten pro Tag schaffen!

WOLFGANG MEYER, Facharzt für Anästhesiologe und ärztlicher Psychotherapeut, Sonthofen

Ein bedeutender Fortschritt

■ betr.: „Traut euch!“, taz vom 4. 5. 13

Vielleicht formiert sich tatsächlich eine Wählerbewegung für Rot-Rot-Grün, vielleicht könnte es sogar gelingen, die drei Parteien zu einem Bündnis zu bewegen. Damit wäre zwar noch keines der sozialen Probleme dieses Landes gelöst. Aber es wäre ein Beleg dafür, dass es ihnen nicht nur um wahltaktische Manöver geht, dass sie ihre Problembeschreibungen (hier v. a. das deutsche Gerechtigkeitsdefizit, die wachsende Spaltung der Gesellschaft) ernst nehmen, dass sie tatsächlich etwas dagegen tun wollen.

Auch auf europäischer Ebene wäre das ein bedeutender Fortschritt – könnte er doch das Ende der Merkel’schen Austeritätspolitik bedeuten und vielleicht noch rechtzeitig die sich vertiefende Spaltung Europas inklusive neu erwachter Nationalismen aufhalten.

ULRICH HEINSEN, Buxtehude

Leben „unter“ den Raupen

■ betr.: „Mit Kanonen auf Raupen“, taz vom 15. 5. 13

Hier wird von der Entfremdung des Menschen von der Natur gesprochen. Wo wohnt denn der Autor oder die Autorin dieser kleinen Gesellschaftskritik? In Berlin?

Ich bin kein großer Fan von den Chemieeinsätzen gegen die Raupen, aber ich lebe im Landkreis Lüchow-Dannenberg und hier kann man sich schwerlich schützen, indem man der Raupe aus dem Weg geht (in Berlin geht man einfach nicht in den Park). Wir leben hier sozusagen „unter“ den Raupen. Die allergischen Reaktionen, die dieses kleine Tier mit seinen Haaren auslösen kann, sind nicht spaßig, auch wenn noch niemand daran gestorben ist.

Der Eichenprozessionsspinner gehört zur Natur, wie die Zecke, das Wildschwein oder der Fuchs. Wer in der Natur lebt, muss einen Umgang mit diesen Wesen finden. Abstand halten ist da meistens keine Option. BRITTA FLEGEL, Kröte, Lüchow

Wachstum fast unmöglich

■ betr.: „Faire Milch am Ende“, taz vom 16. 5. 13

Vielleicht hat die Genossenschaft der Bauernmolkerei einen Fehler begangen, als sie die Lage am konventionellen Verbrauchsmarkt für Milchprodukte zu lange noch fehleingeschätzt hat. Meiner eigenen Kenntnis als BUND-Mitglied zufolge ist jedoch gewiss, dass es zu Gründungszeiten der Upländer Molkerei Mitte der Neunziger in den betreffenden Regionen Nordhessens noch einen sehr dünnen Anteil an Biolandwirtschaft gab und dieser Anteil auch nur dadurch wachsen konnte und kann, dass immer wieder Betriebe zur Umstellung auf Biowirtschaft zu bewegen sind – schwer genug bei den recht schwierigen Verhältnissen: denn solange ein Betrieb in der Umstellung ist, produziert er offiziell immer noch „konventionell“ und noch nicht „biologisch“. So wird also das Wachstum der Biolandwirtschaft fast unmöglich, da Discounter das Geschäft diktieren.

Das eine ist die lukrative, weil besser entgoltene Produktion tatsächlich standardgerechter Bioware, das andere (und mindestens genauso Wichtige) ist die faire Produktion, die auch schon – nachweislich in der Umstellung befindlichen – Betrieben bessere Einkommensbedingungen ermöglichen muss, um auf die Dauer den biologisch und ökologisch hochwertigen Anbau nicht einem kapitalistischen Preisdiktat der Großkontrakter zu opfern, die unökologischerweise lieber Milch aus Bayern einführen, anstatt der Regionalvermarktung gescheite Entgelte zu ermöglichen.

PETER KOLDITZ, Marburg