Mahnende Plastikaugen

AUSSTELLUNGEN Eigentlich sind uns Dinosaurier nur in Form ihrer sterblichen Überreste bekannt: als Skelette. In Freizeitparks und Museen erwachen sie wieder zum Leben. Dort sollen die Riesen in Made-in-China-Anmutung Zuschauer anziehen – vor allem die jüngsten

AUS BREMERHAVEN JENS FISCHER

Sie sind keine Hirngespinste, sind nicht geboren aus der unbewussten Fantasie eines Alptraums, sondern echte Monster: Dinosaurier. Generationsübergreifend faszinieren die Urzeitwesen – in der tapsigen Vegetariervariante und als brutale Fleischfresser. Und sicherheitshalber allesamt tot.

Statuarisch pflegeleicht, ohne Gehege und Futterzwang, werden die Saurier in norddeutschen Zoos deshalb als Hingucker gehalten. Eine große Anzahl lebensgroßer Imitationen steht etwa im Münchehagener Dino-Freilichtmuseum, in Niedersachsen. Ein Freizeitpark ohne Achterbahnen, dafür aber mit originalen Fußabdrücken der Urzeithelden und ein wenig Paläontologen-Show (www.dinopark.de).

Auch Museen räumen ihre Säle frei für die Popkultur-Riesen und für den Zuschauerboom. Jetzt holt sich Bremerhaven die Dinos gegen abflauendes Besucherinteresse ins Klimahaus. Denn dort begrüßten die Macher 2010, im Jahr nach der Eröffnung, zwar noch 700.000 Gäste. Doch seitdem sank das Interesse, auf rund 550.000 im vergangenen Jahr. Die Ausstellung „Kreaturen der Urzeit – Die Grenzen der Anpassung“, die das Haus bis zum 3. November zeigt, soll den Trend nun umkehren. Sie soll die Dino-Fans locken, aber auch Klimahaus-erfahrene Familien zum neuerlichen Besuch animieren. Einzeltickets für die Giganten-Schau gibt es nicht, nur solche für das ganze Eventmuseum.

Zum Konzept des Klimahauses als einer unterhaltsam-moralisierenden Anstalt passt die Sonderaustellung. Ein erster Schritt hinein – und gleich die Botschaftskeule auf’s Ohr: Die Stimme des Schauspielers Hannes Jaenicke erklärt, worum es hier geht. Ihr wollt Dinos gucken? Bitteschön. Aber bedenkt: Ausgestorben sind sie, weil ihnen die Anpassung an veränderte Umweltbedingungen nicht schnell genug gelang – kommt euch das bekannt vor?

Denn der von Menschen verursachte Klimawandel, die Umweltverschmutzung, der Raubbau an Ökosystemen, das alles treffe auch die Tiere der Moderne. Das Zerstören von Lebensräumen sorge dafür, dass die Artenvielfalt rasant abnehme. „Wut allein reicht nicht“, heiß Jaenickes Buch zum Thema. Puh.

Kinder durchtoben trotzdem ungestört diese akustische Appellwand. Die Kleinen finden sofort Plastik-Dino-Figuren in einem Spielbereich. Später im Museumsshop können sie dieselben den Eltern zum Kauf empfehlen. Der größere Nachwuchs feiert Mutproben beim Berühren der Dino-Stars, die hohl klingen, wenn man anklopft. Hartplastik-Repliken sind es, die trotz ihrer Größe für Erwachsene die Made-in-China-Anmutung industriell hergestellter Massenware haben. Kindern öffnen sie aber den Mund zu einem Staunen.

Als Küchenpsychologe und Leser von Romanen des „Jurassic Park“-Autors Michael Crichton wissen wir, dass Dinosaurier „die unkontrollierbare Macht einer allgegenwärtigen Autorität“ repräsentieren. Sie seien „symbolische Eltern“ – geliebt wie Mama und Papa. Und wenn Kinder die zungenbrecherischen Dino-Namen auswendig hervorprusten, genössen sie „eine Möglichkeit, Macht über diese Giganten auszuüben“.

Zurück zur Ausstellungsrealität. Kinder dürfen in eine Sandkiste krabbeln und Knochennachbildungen ausbuddeln. Oder sich in einem Abenteuer verheißenden Höhlengang verstecken. Dort sind Videos von Vulkanausbrüchen zu sehen und Felszeichnungen. „Haben Steinzeitmenschen wie Familie Feuerstein echt gegen Dinos gekämpft und sie getötet?“, ist dann so eine Kinderfrage. Nun hat der Mensch natürlich viel Schuld auf sich geladen, für das Ende der Dinos kann er aber wirklich nichts.

Das letzte Riesen-Reptil verendete vor 65 Millionen Jahren, der Mensch kam erst vor 200.000 Jahren dazu. Er fand aber schon recht bald Saurierknochen und ließ sich dadurch inspirieren: zu Drachen-Mythen, Legenden von Ungeheuern und zu wissenschaftlichen Überlegungen. Schließlich soll die unvorstellbare Katastrophe vorstellbar werden, von der die vor Leben strotzenden und mit harten Schuppen gepanzerten Wesen dahingerafft wurden.

Angeblich starben Dinosaurier aufgrund der Klimaveränderungen, wegen gewaltiger Vulkanausbrüche und des Auseinanderbrechens der Kontinente. Aber es gibt sie noch, die überlebenden Nachkommen dieser Zeit, und sie sind auch in Bremerhaven zu sehen. Als Menetekel. Pädagogik gegen das Artensterben. Denn die heutzutage besonders stark bedrohten Tiere sind jene, die am längsten auf der Erde leben: diverse Reptilien, Amphibien und einige krabbelige Vielbeiner.

Hier lümmeln sie in sehr üppig ausgestatteten, herrlich mit den Augen zu erforschenden Terrarien: Ein Chamäleon gähnt; Riesenvogelspinne, Pfeilgiftfrosch, der Axolotl, Tausendfüßler, Kaiserskorpion und die malaiische Riesengespenstschrecke. Traurig vor sich hin dämmert im Glaskäfig ein Neuguinea-Krokodil. Und Pantherschildkröten schlurfen immer mal wieder ein paar Zentimeter drauflos. Wohl auch, um die Kinderfragen zu beantworten: „Sind die auch aus Plastik oder leben die?“

Infos unter: www.klimahaus-bremerhaven.de