Unter Lindberghs Kappe

Brechts „Ozeanflug“ auf Kampnagel: Showcase Beat Le Mot beleuchten den Antisemitismus des „Fliegerhelden“

33,5 Stunden – und Charles A. Lindbergh war Geschichte. So lange hatte der Postflieger gebraucht, um mit seiner einmotorigen „Spirit of St. Louis“ von New York nach Paris zu fliegen. Er war damit zwar keineswegs der erste Mensch, der den Atlantik überquert hatte – da gab es schon 67 vor ihm. Aber er war der erste, des dies allein und ohne Zwischenlandung getan hatte. Und er war ein Held, wie ihn die Medien damals schon gerne hatten: groß, gut aussehend und absolut fototauglich mit seiner braunen Fliegerkappe. Der 20. Mai 1927 wurde zum Datum erklärt, an dem der Mensch die Natur besiegt hatte – und Charles Lindbergh zum unumstrittenen neuen Helden des angehenden 20. Jahrhunderts.

Zurzeit erlebt die Person Lindbergh ein erstaunliches Revival in Kunst und Literatur. Zuletzt kreiste der Flieger durch die Feuilletons, weil Amerikas großer Geschichten- und Geschichtsschreiber Philip Roth ihm ein ganzes Buch gewidmet – und kräftig an seiner Heldenfassade gekratzt hatte. In Verschwörung gegen Amerika dreht Roth die Zeit zurück und malt sich aus, was passiert wäre, hätte ein Kandidat Lindbergh und nicht Franklin D. Roosevelt die US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 1940 gewonnen. Seine These: Lindbergh, der nicht nur Fliegerheld, sondern auch Faschistenfreund und Antisemit war, hätte einen Nicht-Angriffspakt mit Nazi-Deutschland geschlossen – mit fatalen Folgen auch für die in den USA lebenden Juden.

Die dunklen Seiten von Amerikas Strahlemann wollen auch die Performancegruppe Showcase Beat Le Mot und das Kampnagel-Jugendtheater s[k]ampis in ihrer gemeinsamen Arbeit Der Ozeanflug beleuchten. Grundlage der Inszenierung auf Kampnagel ist das gleichnamige Radio-Lehrstück von Bertolt Brecht, der 1929 den Lindbergh-Flug zu einer begeisterten Ode über das Wunder der Technik verarbeitete.

Showcase Beat Le Mot, unter anderem bekannt für ihre Manga-Comic-Shows und ihre Musikvideos für die Hamburger Band Kante, will aber gerade auch Lindberghs Nähe zum Nationalsozialismus und seinen Antisemitismus zeigen. In der Probenarbeit erarbeitete die Gruppe mit den Jugendlichen von s[k]ampis nicht nur die Theatertheorien Brechts, sondern stellte ihnen auch ihr eigenes Bühnenkonzept vor, das sich vor allem auf die Verarbeitung von Popkultur-Elementen konzentriert. Wie sich brechtscher V-Effekt und moderne Performance-Kunst verbinden, kann man jetzt auf Kampnagel sehen. Carolin Ströbele

Premiere: 19.1., 19 Uhr, Kampnagel. Weitere Vorstellungen: 20.–22.1., jeweils 19 Uhr