Snobistische Tussen

SITTENKOMÖDIE Whit Stillman macht nur alle Jubeljahre einen Film – in seinem neuesten präsentiert er ausgesprochene Soziopathinnen mit Herzen aus Gold: „Algebra in Love“

Gerwigs linkische Physis gehört zu den großen Kinowundern der Gegenwart

VON ANDREAS BUSCHE

Die Bildungsanstalt ist in Whit Stillmans Sittenkomödie „Algebra in Love“ ein Ort vollkommener Indifferenz. Es bedarf schon einer außerordentlichen sozialen Störung, sich so ungerührt durch die Versuchsanordnung unausgereifter Lebensentwürfe zu bewegen wie Violet, Heather und Rose. Die drei Mädchen sind die „Queen Bees“ am Campus des Seven Oaks College: snobistische Tussen, die Schule noch als klassische Zurichtungseinrichtung begreifen. Die Techniken der (Selbst-)Optimierung beherrschen sie im Schlaf.

Beim Dating zum Beispiel: „Unser Bestreben ist einfach“, erläutert die Wortführerin Violet dem neuen Mädchen Lily beim Campus-Rundgang. „Schnapp dir einen Typen, der sein Potenzial noch nicht erkannt hat oder über keines verfügt – und hilf ihm, es zu finden.“ Oder Gerüche. „Ist dir bewusst“, wird ein potenzieller Selbstmordkandidat aufgeklärt, „dass eine wohl riechende Umwelt essenziell fürs allgemeine Wohlbefinden ist?“

Seven Oaks, dieser Katastrophenherd männlicher Barbarei, ist der perfekte Ausgangspunkt für das Weltverbesserungsprojekt der drei Grazien mit dem Gemüt von Fleischerhunden. „Hier“, meinen sie mit Blick auf das Gebäude der Studentenverbindung, „gibt es genug Material für lebenslange Sozialarbeit.“

Die Mädchen mit den floralen noms de guerre sind wohl die erstaunlichste Erfindung der jüngeren amerikanischen Komödiengeschichte: drei ausgesprochene Soziopathinnen mit Herzen aus Gold. Das all-american girl Lily wirkt in diesem Ensemble aus pastellfarbenen Strickjacken und parfümierten Hohlköpfen wie ein Fremdkörper. An ihr macht sich die Differenz zum darwinschen Sozialkodex der Mädchenclique fest – etwa, wenn sie die allernaheliegendsten Fragen auf die skandalösen Bemerkungen Violets laut ausspricht. „Denkst du nicht, dass man die Art und Weise, wie du über andere urteilst, auch für Arroganz halten könnte?“

Doch Violets Ausschlusslogik ist gegen jede Form herkömmlicher Ratio resistent. What’s your point? „Es ist wahr, wir haben alle Fehler. Aber sind wir im Angesicht unserer eigenen Schwächen zum Schweigen über die Fehler anderer verdammt? Müssen wir uns eines Kommentars enthalten, nur weil unser Wesen ebenfalls bloß menschlich ist?“

So redet natürlich niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat – auf keinem Uni-Campus noch sonst irgendwo im 21. Jahrhundert. Stillman komponiert solche verbalen Kadenzen mit wahnwitziger Präzision zu ungemein dichten Monologen von entwaffnender Gleichgültigkeit. Doch der prachtvoll verdrechselte, gleichsam eingängige Brutalismus dieser Sprache wäre redundant ohne die großartige Greta Gerwig, die Violets ahnungslose Unerhörtheiten mit einem unzerstörbaren Optimismus vorträgt.

Gerwigs linkische Physis gehört zu den großen Kinowundern der Gegenwart, und sie geht mit Stillmans modellierter Prosa eine perfekte Symbiose ein. Gerwig bittet sie, Stillmans unverrückbare Sätze, zum Tanz: dem Sambola, der die Welt – hier in ihre sozialen Bestandteile aufgelöst, welche noch entfernt an eine uns bekannte Wirklichkeit erinnern – tatsächlich retten könnte. Etwa vor den jüngsten Profanitäten eines Judd Apatow.

In „Algebra in Love“ verweist nichts auf eine irgendwie vertraute (oder vertrauenserweckende) Lebenswelt: nicht die Sprache der Mädchen, die auch untereinander permanent aneinander vorbeireden; nicht das College, an dem scheinbar nie unterrichtet wird; und am wenigsten die Tanzroutinen, die von dem Fred-Astaire-Film „A Damsel in Distress“ inspiriert sind – und dem auch der Originaltitel von „Algebra in Love“ nachgebaut ist: „Damsels in Distress“ (Jungfrauen in Nöten).

Auf der Metaebene von „Algebra in Love“ geht es um Verhaltensnormen. Was konstituiert sie, und wie kann man sie trotz aller sozialer Inkompetenz in brauchbare zwischenmenschliche Beziehungen ummünzen? Whit Stillman, der offensichtlich nur alle Jubeljahre einen Film machen darf, um die Konkurrenz nicht vollends zu konsternieren (sein letzter Film „The Last Days of Disco“ datiert auf das Jahr 1998), beherrscht das Pingpong der Stile und Tonalitäten, die Reibung der Widerstände. Seine „Comedy of Manners“ entzieht sich den üblichen Gepflogenheiten der Komödie, weil er mit gezielten Diskongruenzen arbeitet.

Gerwigs fast schon idiotisch selbstsicheres Lächeln steht in keinem Verhältnis zu den Ungeheuerlichkeiten, die aus ihrem Mund kommen. Allein dafür muss man sie lieben. Sie will nur unser Bestes, und sie spricht es unverblümt aus. „Wir wollen einen Unterschied im Leben der Menschen machen und ein Weg dahin ist, sie davon abzubringen, sich vom Dach zu stürzen.“

■ „Algebra in Love“ als OmU im fsk