Offener Brief an die taz

Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) hat einen von mehreren Hundert Menschen unterzeichneten Offenen Brief an die taz geschrieben, den wir in Auszügen dokumentieren.

Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD-Bund) e.V. verurteilt zutiefst die Reaktion der taz-Redaktion auf die Ereignisse, die sich rund um die Diskussionsrunde „Meine Damen und Herren, liebe N-Wörter und Innen“ auf dem taz.lab 2013 zugetragen haben. Die Veranstaltung vom Samstag, 20.04.13, endete aufgrund des respektlosen Verhaltens des Moderators und taz-Journalisten Deniz Yücel in einem Eklat. Dies war jedoch nur der Auftakt einer Reihe von Verfehlungen, die sich die Organisator_innen des taz.labs 2013 sowie die Chefredaktion der taz seitdem geleistet haben. Nicht nur, dass die unprofessionellen Ausbrüche Yücels in dem noch am selben Abend erschienenen Online-Artikel verharmlost wurden, auch die Reaktionen von Chefredakteurin Ines Pohl und taz.lab-Kurator Jan Feddersen auf die Beschwerden von Autorin und ISD-Aktivistin Sharon Dodua Otoo waren – gelinde gesagt – unbefriedigend.

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Der Begriff „Neger“ (im Folgenden N-Wort) ist keinesfalls ein inzwischen harmloses Artefakt aus vergangenen Zeiten. Er wird im Gegenteil nach wie vor im Zusammenhang mit Gewaltverbrechen und Alltagsdiskriminierung gegen Schwarze Menschen in Deutschland verwendet. Die 350-jährige Gewaltgeschichte des Begriffs in Deutschland sollte Anlass genug für einen sensiblen Umgang damit sein. Das N-Wort war integraler Bestandteil rassistischer Konzepte, die politische Gewalt legitimierten, es wurde über Jahrhunderte in der Planung und „Legalisierung“ von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwendet: Vom brandenburgischen Versklavungshandel und Rassismus in der Aufklärung über rassistische Kolonialpolitik über Zwangskastrierung und Ermordung im Dritten Reich bis hin zur Diskussion rassistischer Politik gegen Schwarze Deutsche im Bundestag der 1950er reicht die deutsche Traditionslinie im Bereich von staatlicher Politik – von gesellschaftlichem Rassismus ganz zu schweigen.

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Der Amerikanische Begriff „Negro“ kann nicht einfach mit dem deutschen N-Wort gleichgesetzt oder übersetzt werden. Die Begriffe haben eine jeweils spezifische Geschichte. Weder wurde das N-Wort zu irgendeinem Zeitpunkt in Deutschland als neutrale Bezeichnung für Schwarze Menschen, noch von diesen selbst als Selbstbezeichnung im Rahmen ihres Kampfes um Gleichberechtigung verwendet. (…) Selbstverständlich lebt eine Zeitung wie die taz von der Diversität ihrer Standpunkte. Jedoch müssen auch hier gewisse Grenzen gesetzt werden. Auch Meinung und Polemik sollte auf Sachinformationen und dem fundamentalen Respekt für Unterdrückungserfahrungen gegründet sein. (…)

Dieser Vorfall ist ein weiteres Beispiel für das Verbarrikadieren hinter einer Verteidigungslinie. Es wird Zeit, dass sich die taz, ebenso wie die breite Gesellschaft, endlich kritisch mit dem Thema Rassismus und Sprache auseinandersetzt. Es wird Zeit, dass der Mainstream die Stimmen derjenigen ernst nimmt, die üblicherweise als die so genannten Anderen gelten. Es gilt, sie als Expert_innen zum Themenfeld Rassismus und Diversity anzuerkennen und für die Medienstrukturen nachhaltig zu gewinnen. (…)

Wir erwarten eine noch immer ausstehende ausführliche Stellungnahme und inhaltliche Auseinandersetzung der taz mit den von uns dargelegten Vorgängen und der erfolgten Gegendarstellung Otoos, sowie eine Entschuldigung, die auch als solche gewertet werden kann. Damit hat die taz in diesem konkreten Fall die Gelegenheit, ihr Selbstverständnis als emanzipatives Medium zu bekräftigen – oder sich davon abzukehren. VORSTAND, INITIATIVE SCHWARZE MENSCHEN IN DEUTSCHLAND (ISD-BUND) E.V.

Offene Antwort der taz

„Meine Damen und Herren, liebe N-Wörter und Innen“ lautete der Titel einer Podiumsdiskussion auf dem taz.lab Ende April im Berliner Haus der Kulturen. Das Panel, auf dem es um Sprache, Diskriminierung und Zensur ging, endete im Eklat. Die Schriftstellerin Sharon Otoo verließ unter Protest das Podium. Unserem Redakteur Deniz Yücel ist die Moderation leider entglitten. Der Kollege hat seine Sicht der Dinge nach der Veranstaltung in der taz veröffentlicht („Ihr hab einen an der Waffel“, taz vom 23. 4. 13), auf unsere Bitte hin hat dies auch Sharon Otoo („Einfach mal zuhören“, taz vom 30. 4. 2013) mit der ihren getan. Chefredakteurin Ines Pohl und der Leiter des taz.labs, Jan Feddersen, haben gemeinsam ihr Bedauern öffentlich gemacht.

Seitdem haben wir innerhalb der taz in vielen Gesprächen – durchaus kontrovers – über den Vorfall, unseren Umgang damit und das Thema Sprache und Rassismus diskutiert. Rassismus ist für die taz inakzeptabel, Respekt im Umgang miteinander unabdingbar. Wir nehmen die Vorwürfe, die im offenen Brief der ISD genannt werden, sehr ernst. Und wissen, dass sich die taz, wie die Gesellschaft überhaupt, diesem Thema stellen muss. Dabei muss es um Grenzen gehen, die wir nicht überschreiten sollten, aber auch um die Frage, wann Diskussion unmöglich gemacht wird und wo Zensur beginnt. Auch über diese Grenze gilt es zu debattieren.

Das wollen wir nicht nur taz-intern tun, sondern auch öffentlich. Deshalb wird am kommenden Freitag auf den Meinungsseiten der taz eine Debattenserie zum Thema beginnen. Zudem wollen wir uns öffentlich der Diskussion stellen. Deshalb laden wir in den kommenden Wochen zu einer Podiumsdiskussion in Berlin. Die Planung läuft gerade. Zur Teilnahme an beidem haben wir die ISD herzlich eingeladen. TAZ-CHEFREDAKTION