Alkohol als Lebensmittel
: Hochprozentige Infektion

Aus Prag

ALEXANDRA MOSTYN

Wenn es die Prager heute Abend hinauszieht in die Kneipen der Altstadt oder in die Clubs der Szeneviertel, dann nicht, um zu trinken. Man trinkt nämlich nicht dieser Tage in Prag, sondern man holt sich eine viróza, eine Virusinfektion. Und zwar die, die sich Präsident Milos Zeman zugezogen hatte, bevor er am 9. Mai zusammen mit anderen Würdenträgern der tschechischen Staatlichkeit die böhmischen Kronjuwelen aus dem Prager Veitsdom an die Öffentlichkeit brachte.

Der Präsident schwitzte, wankte und starrte die juwelenbestückte goldene Krone des heiligen Wenzel an, als ob er tanzende weiße Mäuse auf ihr entdeckt hätte. Offensichtlich war Zeman stark alkoholisiert, was an sich nichts Neues ist. Immerhin war er schon vier Jahre lang Ministerpräsident, da soll es im Regierungsamt schon vormittags feuchtfröhlich zugegangen sein. Zudem geht Zeman selbst ganz offen mit seinem Alkoholkonsum um. Alkoholiker seien nur diejenigen, die nichts vertragen und außerdem sei Adolf Hitler abstinent gewesen und habe dennoch einiges verbrochen, sagt er.

Es gibt wahrscheinlich kein Volk in Europa, das ein so freundliches und aufgeschlossenes Verhältnis zum Alkohol hat wie die Tschechen. Das weiß jeder, der um die Vormittags- und Mittagszeit schon einmal irgendwo in Prag eingekehrt ist. Bier gilt als Lebensmittel, Schnaps als Medizin. Es ist vollkommen normal, zum Mittagessen eins, zwei Bierchen zu trinken und nach der Arbeit am Stammtisch vorbeizuschauen.

Deshalb nimmt es Milos Zeman auch niemand übel, wenn er, nach eigenem Bekunden, sechs Gläser Wein und drei Schnäpse täglich zu sich nimmt. Im Gegenteil. Damit zeigt er sich als Mann des Volkes, als wahrer Primus inter Pares.

Und so hätte auch Zemans schwankende Ehrerbietung an die Kronjuwelen höchstens zu einer lauwarmen Diskussion über Alkohol am Arbeitsplatz geführt und vielleicht zu dem ein oder anderen Vergleich mit Boris Jelzin. Nur haben Zemans Berater einen Kardinalfehler gemacht: Sie haben versucht, seinen Zustand zu vertuschen. Der Präsident leide unter einer leichten Virusinfektion, ließ die Prager Burg nach Zemans Auftritt sogleich verlauten.

Die Tschechen sind Weltmeister im Hinnehmen. Aber wer sie verarscht, den bestrafen sie mit Häme. Und so diskutiert man in Prag nun eifrig, ob es denn das Weinvirus sei oder die Pflaumenschnapsitis, die dem Präsidenten so zugesetzt hat. Ganz Eingeweihte wollen wissen, dass Zeman von einem gefährlichen Wodka-Erreger befallen wurde, denn Zeman hat vor dem Ausflug zu den Kronjuwelen an einem Empfang in der russischen Botschaft teilgenommen.

Was auch immer es war, es wird dauern, bis man in Prag das Wort „Virusinfektion“ ohne doppeldeutiges Grinsen und Zwinkern aussprechen wird. Und sicher wird es nicht mehr lange dauern, bis der erste Schnaps der Marke „Viróza“ auf den Markt kommt.