Die Polen-Paranoia ist oft unberechtigt

Wie viele Stellen Firmen ins Ausland verlagern, lässt sich schwer beziffern. Vielfach schaffen die Betriebe gleichzeitig in Deutschland neue Jobs

Das ist der Albtraum hiesiger Arbeitnehmer: Der deutsche Karosseriebauer verliert seinen Job, während sich sein Kollege in Polen über die neue Stelle freut und für einen Bruchteil des Lohns am neuen Billigmodell werkelt.

Bei der Debatte um die Verlagerung von Arbeitsplätzen ist der Angstfaktor sehr groß. Dabei ist der konkrete Jobexport nur schwer zu beziffern. „Der Zusammenhang von Stellenabbau im Inland einerseits und Beschäftigungsaufbau im Ausland andererseits ist viel komplexer, als in der üblichen Verlagerungsdebatte diskutiert wird“, sagt Volker Treier, Konjunkturexperte beim Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHK). Eine DIHK-Umfrage unter 4.400 Unternehmen, die im Ausland aktiv waren, zeigte, dass lediglich ein Viertel dieser Firmen Stellen ins Ausland verlagert hatten oder dies planten. Bei zwei Dritteln der Befragten hatte der Jobexport bereits stattgefunden, ein Drittel hatte ihn noch vor. Jeder dritte der „verlagernden“ Betriebe hatte in der Vergangenheit die Beschäftigung im Inland verringert. Hingegen hatten 37 Prozent sogar mehr Jobs in Deutschland geschaffen.

Also kein Grund zur Panik? Ein Blick in die Statistik der Deutschen Bundesbank mindert die Sorge: In Unternehmen im Ausland mit direkter oder indirekter deutscher Kapitalbeteiligung ist die Zahl der Beschäftigten von 2002 bis 2003, in dem Zeitraum, für die die jüngsten Zahlen vorliegen, nicht etwa gestiegen, sondern sogar um 40.000 zurückgegangen. Von massivem Stellenaufbau im Ausland bei deutschen Firmen oder deren Tochterunternehmen kann also keine Rede sein.

Die Debatte um „Arbeitsplatzeffekte“ der Globalisierung werde vorwiegend „anhand einzelner Fallbeispiele geführt“, bedauert Gunter Schall, Referent für Außenwirtschaftspolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Auf die gesamte Wirtschaft bezogen, lasse sich die konkrete Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland jedoch „nur in geringem Maße feststellen“.

Die Wechselwirkungen, die in der Vergangenheit Jobs besonders in der deutschen Industrie verschwinden ließen, sehen dabei oft anders aus, als die Medien es darstellen. In der Autoindustrie gehe es beispielsweise um den Abbau von Überkapazitäten, erläutert Schall. Die Unternehmensleitung kappt dann in Deutschland Stellen, weil die Arbeitskosten hier höher sind als im Ausland. Um einen direkten „Jobexport“ etwa nach Osteuropa handelt es sich aber nicht.

Oft sichern billigere Zulieferer aus Osteuropa hierzulande die Produktion. Die Nähe zu einem neuen Markt spielt für den Aufbau von neuen Jobs für die Unternehmen zudem laut der DIHK-Umfrage eine größere Rolle als die unterschiedlichen Arbeitskosten.

Die Beschäftigten sind allerdings unterschiedlich von Verlagerungen betroffen. Nach einer Studie der Boston Consulting Group werden in zehn Jahren in Deutschland rund 90 Prozent der Fernseher und Kühlschränke, aber nur 21 Prozent der Autos aus den so genannten Niedriglohnländern kommen.

BARBARA DRIBBUSCH