portrait
: Journalistin, Irak-Liebhaberin, Geisel

Die Journalistin bleibt stumm. Vor einer weißen Wand ist sie zu sehen, ihre Augenringe zeigen, dass sie Tage des Stresses hinter sich hat. Seit dem 7. Januar ist Jill Carroll, 28, eine freie Korrespondentin für den Christian Science Monitor, in der Hand von Kidnappern im Irak. Vorgestern nun strahlte der arabische Sender al-Dschasira ein Videoband aus, auf dem die Journalistin zu sehen ist – sie spricht in Richtung der unsichtbaren Kamera, doch es wird kein Ton gesendet. Die Forderung der Kidnapper, deren Zugehörigkeit zu einer der bekannten Gruppierungen nach wie vor offen ist: Die US-Truppen sollen binnen 72 Stunden alle weiblichen irakischen Gefangenen freilassen, sonst werde Jill Carroll umgebracht. Das Wort „Rachebrigade“ steht unten am Bildrand.

Seit drei Jahren arbeitet Carroll im Irak. Sie pflegt enge Freundschaften zu irakischen KollegInnen, arbeitet ohne Sicherheitsentourage, kleidet sich in ihrer Wohnung in Jeans und T-Shirt, auf der Straße aber in den schwarzen Gewändern irakischer Frauen einschließlich Kopftuch. Sie selbst hat die Arbeitsbedingungen freier JournalistInnen im Irak und die damit verbundenen Gefahren vor einem Jahr in einem Artikel für das American Journalism Review detailliert beschrieben: „Es gibt lukrativere Arbeiten und bessere Karrierechancen woanders. Aber so wie Athleten aus Liebe zum Sport handeln, scheinen freie Journalisten im Irak aus Liebe zur Story zu agieren.“ Bei ihr kam, nach Aussage von Freunden, eine große Liebe zum Irak dazu. Kam sie von einer Reise in die USA nach Bagdad zurück, freute sie sich: endlich daheim.

Ihre Berichte aus dem Irak zeichnen sich durch Detailkenntnis und durch extreme Unvoreingenommenheit aus. Sie beschreibt die Katastrophe der täglichen Unsicherheit für die Iraker genauso wie die kleinen Fortschritte, aus einer Perspektive, die zuallererst auf die Menschen selbst eingeht. „Ich habe keine Angst. Ich schreibe über Menschen, und sie lesen, was ich schreibe. Sie würden mir nichts antun“, habe sie stets einer Freundin gesagt, wenn die sie wieder einmal aufgefordert habe, das Land zu verlassen.

Ihre Freunde kannten auch den Dolmetscher Allan Enwiyah, der mit Carroll unterwegs war und bei der Entführung erschossen wurde. Beide waren zusammen mit einem Fahrer unterwegs zu einem Interviewtermin mit einem sunnitischen Politiker, als ihr Auto nur wenige hundert Meter von dessen Büro entfernt von bewaffneten Männern gestoppt wurde – in Adil, dem gleichen Viertel im Westen Bagdads, in dem 2004 die Care-Mitarbeiterin Margaret Hassan entführt und später ermordet wurde.

BERND PICKERT