Ungleiche Nachbarn

MILLIONENSIEG Mit viel Glück und noch mehr Unzulänglichkeiten gewinnen die gut gepäppelten Schalker beim Ausbildungsverein SC Freiburg und dürfen nun in die Qualifikationsrunde für die Champions League

Zwei völlig unterschiedliche Welten standen sich im Saisonfinale auf Augenhöhe gegenüber

AUS FREIBURG JOHANNES KOPP

Sie haben es nicht leicht mit Christian Streich in Freiburg. Seine Emotionen und sein Verstand stehen in einem unversöhnlichen Spannungsverhältnis. Der Mann ist unberechenbar. Dabei bemühen sich die meisten redlich, es ihm recht zu machen. Über Wochen hat der Trainer extrem allergisch auf all diejenigen reagiert, die auch nur eine Anspielung auf die mögliche Qualifikation für die Europa League wagten. Das Tabuthema wurde indes schon vor dem letzten Spieltag zur Realität. Nach der abschließenden 1:2-Niederlage gegen Schalke 04 nun am Samstag versuchten die örtlichen Journalisten Streich über die verpasste Champions-League-Qualifikation hinwegzutrösten, indem sie ihn an die doch so erfreuliche Saison erinnerten. „Soll ich mich jetzt auf Befehl freuen“, blaffte Streich einen der Gutgesinnten an. Er dachte nur an das Spiel gegen Schalke, das „wir niemals hätten verlieren dürfen“.

Als dann ein anderer aufstand, um dem Trainer ein Buch über Europa zu überreichen, für das einige Journalisten zusammengelegt hatten, weil man den Trainer ja mit dem Thema Europa League „so genervt hätte“, war Schalkes Manager Horst Heldt, der die Szene am Rand stehend beobachtete, bass erstaunt. „Warum gibt es eigentlich bei uns so etwas nicht?“, fragte er halblaut. In diesem Moment dürfte ihm sehr bewusst geworden sein, welch unterschiedliche Welten sich da im Saisonfinale auf Augenhöhe gegenüberstanden. Und gewiss wollte er sich lieber nicht ausmalen, welche Reaktionen eine Niederlage in Freiburg und die verpasste Champions-League-Qualifikation ihm und seinem Trainer Jens Keller beschert hätten.

Unterschiedlicher als Freiburg und Schalke können Tabellennachbarn kaum sein. Schon ein Blick auf die Trikots offenbarte: Da spielte der zehntgrößte deutsche Milchverarbeiter gegen das weltweit größte Erdgasunternehmen. Während bei Schalke Michel Bastos, für den Olympique Lyon einst 18 Millionen Euro zahlte, auf die Bank musste, feierte bei Freiburg der 19-jährige Sebastian Kerk aus dem Amateurkader sein Profidebüt in der Startelf. Und dennoch dominierten die emsigen und variabel agierenden Freiburger die Partie. Die auf Kontrolle bedachten Gäste hingegen spielten Tiki-Taka mit ihrem Torwart – Timo Hildebrand kam bei Schalke auf die meisten Ballkontakte (54).

„Es hat mich schon überrascht, dass sie so tief standen“, bekannte hernach Freiburgs Innenverteidiger Matthias Ginter. Und der übellaunige Streich erklärte: „Ich bin stolz, dass Schalke so defensiv gegen uns spielt. Das ist eigentlich eine Auszeichnung für den SC.“ Wie viel Galligkeit in dieser Bemerkung steckte, wurde deutlich, als Streich wenig später sagte: „Ich bin von einem tollen Spiel und offenen Schlagabtausch ausgegangen. Dem war nicht so.“ Die Schamesröte trieb das aber weder Keller noch Heldt ins Gesicht. Allein auf das Ergebnis sei es an diesem Tag angekommen, betonte ein überglücklicher Jens Keller. Und Horst Heldt wechselte einfach flugs den Bezugsrahmen für sein Resümee. Über die ganze Saison hinweg gesehen, erklärte er, habe sich das Team die Platzierung verdient.

Am Ende hing es aber nur an dieser letzten Partie, dass man nun auf Schalke über die offenkundigen Schwächen dieser Spielzeit so generös hinwegsehen kann. Zu verdanken hatte man das auch der Unzulänglichkeit der Freiburger, torgefährliche Situationen zu kreieren. Und obendrein mutete es schon tragikomisch an, dass das Team von Christian Streich vor dem eigenen Tor noch effizienter war (Eigentor Julian Schuster, 58.) als vor dem gegnerischen.

Mag das Abschneiden der Bayern und Dortmunder in dieser Saison ein Beleg dafür sein, dass die Gentrifizierung in der obersten Tabellenregion der Bundesliga gewaltig fortgeschritten ist, so zeigt das Saisonfinale von Freiburg: In der direkten Nachbarregion kann es weiter recht bunt zugehen. Innovative Kräfte werden auch künftig Klubs wie den FC Schalke 04, Bayer Leverkusen oder den VfL Wolfsburg, die von Versagensängsten geplagt werden, die Stirn bieten können. Ob der SC Freiburg den Standard halten können wird, ist fraglich. Am Samstag verabschiedete der Klub seine komplette Offensivachse (Jan Rosenthal, Max Kruse, Daniel Caligiuri).