„Unmissverständliche Begriffe“

FORMULIERUNG In Frankreich soll das Wort „Rasse“ aus Gesetzen gestrichen werden. Das wäre auch in Deutschland gut, sagt Mekonnen Mesghena, der die Debatte über Sprache in Kinderbüchern angestoßen hat

■ leitet das Referat „Migration und Diversity“ in der Heinrich-Böll-Stiftung. Er hat in Dortmund Journalistik und Geschichte studiert, danach ein Volontariat beim WDR in Köln absolviert.

INTERVIEW CIGDEM AKYOL

taz: Herr Mesghena, die französische Nationalversammlung stimmte für einen Vorschlag, wonach das Wort „Rasse“ aus dem Strafgesetzbuch, der Strafprozessordnung und aus dem Gesetz zur Pressefreiheit getilgt werden soll. Brauchen wir Vergleichbares auch hierzulande?

Mekonnen Mesghena: Eine solche Initiative wäre auch in Deutschland begrüßenswert. Wir brauchen Begriffe, die in ihrer Interpretation und Anwendung unmissverständlich sind. Dem Begriff „Rasse“ liegt eine Ideologie zugrunde, daher kann der Hinweis darauf zu unterschiedlichen Interpretationen führen. Gerade vor dem historischen Hintergrund der „Rassenideologie“ in Deutschland benötigen wir unbedingt unideologische rechtliche Rahmen, die das Individuum auf der Grundlage des allgemeingültigen Menschenrechts schützen.

Im Grundgesetz taucht der Begriff im Artikel 3, Absatz 3 auf: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Auch im Gleichbehandlungsgesetz wird das Wort „Rasse“ verwendet. Welcher andere Begriff könnte es ersetzen?

Natürlich ist jeder Hinweis in Gesetzesbüchern wichtig, der Diskriminierung und Ausschluss delegitimiert. Die Aufzählung im Artikel 3 des Grundgesetzes ist so vielfältig und -schichtig, dass der Artikel auch ohne den Begriff „Rasse“ auskommen würde. Die Kategorien und Dimensionen der Diskriminierung sind sowohl aus den Alltagserfahrungen als auch institutionellen Zusammenhängen gut bekannt. Woran wir leiden, ist die Bissigkeit dieser Rechte und deren konsequente Anwendung. Wir brauchen unmissverständliche Begriffe, die die Diskriminierungskategorien und Ausschlussmechanismen auf Grundlage individueller Rechte beschreiben.

Schon 2010 forderte das Deutsche Institut für Menschenrechte, Gesetze umzuformulieren, in denen auf die Rasse von Menschen Bezug genommen wird. Bisher hat sich in Deutschland aber nichts getan.

Der Kampf gegen Rassismus ist auch ein Kampf gegen Ideologien. Daher ist es wichtig, dass das Phänomen, gegen das vorgegangen wird, auch genannt wird. Gleichwohl müssen Staat und Gesellschaft aufpassen, dass in der rechtlichen Gleichstellung der Bürger diese Ideologie nicht fortgeschrieben wird. Neben der Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus müssen Rechte und Gesetze auch die Zukunft und die Vision der Gesellschaft formulieren.

In den USA wird der Begriff „race“ ganz selbstverständlich verwendet. Warum?

„Race“ hat im US-amerikanischem Kontext eine breitere Definition. Das Wort beinhaltet auch die Dimensionen Herkunft, Hautfarbe und Ethnizität. Neben „Gender“ ist es eine starke politische Kategorie, die in der Beschreibung und Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus eine wichtige Rolle spielt.

Sie haben die Debatte über diskriminierende Sprache in Kinderbüchern in Gang gesetzt. Nachdem Sie in „Die kleine Hexe“ auf die Worte „Neger“ und „Negerlein“ gestoßen waren, beschwerten Sie sich. Brauchen wir nach der N-Wort nun eine R-Wort-Debatte?

Mein Vorwand richtete sich nicht allein gegen das Wort „Negerlein“, sondern auch gegen die diskriminierenden Ethnisierungen „Türke“, „Zigeuner“, „Eskimo“, „Chinese“ et cetera. Alle diese Wörter werden aus dem Buch entfernt. Dass die Debatte sich dennoch um das eine Wort verdichtete, weist natürlich auf die Explosionskraft des Wortes hin und hat eine tiefverankerte Geisteshaltung enttarnt, welche untrennbar mit der Ideologie der „Rasse“ zusammenhängt. Der breite Applaus für Thilo Sarrazin unter dem gleichen Vorwand, „Dinge beim Namen“ nennen zu wollen, zeigt, wie Überlegenheitsmuster mitschwingen. Ein viel gravierenderes Beispiel ist natürlich das völkische Gedankengut, welches auch in deutschen Sicherheitsbehörden herrscht, die die Ermittlung der NSU-Morde blockierte. Daher wäre es logisch, nach der N-Wort-Debatte auch die Ideologie, die dieser Geisteshaltung zugrunde liegt, offen zu diskutieren.

Dieses Interview wurde schriftlich geführt