In der Daten-Grauzone

Weil ihre Mieten zu hoch sind, werden auch Eltern schulpflichtiger Kinder gezwungen, in andere Stadtteile umzuziehen – wie viele, weiß niemand

Die Probleme mit der Arge-Software sind seit über einem Jahr bekannt

von MARCO CARINI

2.800 Hamburger Empfänger des Arbeitslosengeldes II müssen umziehen, weil ihre Mieten über den gesetzlich festgelegten Richtsätzen liegen. So will es die für die Betreuung der Langzeitarbeitslosen zuständige Arbeitsgemeinschaft (Arge), die entsprechende Schreiben an die Betroffenen verschickte. Dass diesen Menschen auch Umzüge in andere Stadtteile und Bezirke zugemutet werden können, ist für die Arge dabei klar.

Besonders brisant: Auch Eltern mit schulpflichtigen Kindern werden derzeit aufgefordert, ihre Mietkosten durch Umzug oder Untervermietung zu senken. Kommen sie dieser Aufforderung innerhalb eines halben Jahres nicht nach, droht ihnen die Kürzung oder sogar die ersatzlose Streichung des Wohngeldes.

Arge-Sprecher Uwe Ihnen bestätigte gegenüber der taz, dass die ultimativen Umzugsaufforderungen auch an Familien verschickt werden, deren Kinder wohnortnah in Kindergärten oder Schulen untergebracht sind. Zwar werde bei der Frage, ob Hartz IV-Empfänger zum Wohnortwechsel aufgefordert werden, „auf soziale Kriterien, wie etwa die sozialen Bezüge der Kinder Rücksicht genommen“ – doch auch für diese Familien gebe es die entsprechenden blaue Briefe.

Im Klartext: Wessen Miete mehr als 20 Prozent über den genehmigten Sätzen liegt, dem droht nicht nur Zwangsumzug, sondern auch Schulwechsel. Die erlaubte Nettokaltmiete für eine vierköpfige Familie liegt dabei bei 525 Euro plus 50 Euro Wassergeld.

Wie viele Hamburger Familien nach Willen der Arge umziehen müssen, weiß diese jedoch nicht zu sagen. „Das haben wir nicht erfasst“, räumt die zuständige Mitarbeiterin Freia Srugis gegenüber der taz ein. Die Arge weiß nur, dass sie nichts weiß: Wie viele ihrer 2.800 bislang abgeschickten Drohbriefe an Ein-Personen-Haushalte und wie viele an Familien adressiert wurden, das habe die Arbeitsagentur ebensowenig „erfassen“ können wie Daten darüber, wie viele ALG-II-Empfänger bereits im vergangenen Jahr umziehen mussten. Bekannt ist nur, dass 2005 in „52 Fällen“ Langzeitarbeitslosen das Wohngeld komplett gestrichen wurde, weil sie einen Auszug aus ihren angeblich überteuerten Wohnungen verweigert hätten.

„Kleinräumige Daten kann unsere Software nicht erfassen“, stöhnt auch Rolf Steil, Chef der Hamburger Arbeitsagentur. Damit erfolgt die amtliche Arbeitslosen-Vertreibung in einer absoluten Informations-Grauzone. Da zentrale Daten nicht erhoben werden, gibt es auch keine Fakten, auf deren Grundlage etwa die Hamburger Bürgerschaft die sozialen Folgen der Arge-Maßnahmen diskutieren könnte. Für eine politische Kontrolle des Hamburger Umgangs mit Langzeitarbeitslosen fehlt so jede Grundlage.

Pikant dabei: Die Probleme mit der Arge-Computersoftware sind seit über einem Jahr bekannt. Deshalb hatte CDU-Wirtschaftssenator Gunnar Uldall im Rahmen der Vertragsverhandlungen mit der Agentur für Arbeit über eine Neustrukturierung der Hamburger Arge auf eine „Ausstiegsklausel“ insistiert. Die hätte es der Stadt ermöglicht, die bundesweit eingesetzte Chaos-Software durch funktionierende Datenverarbeitungsprogramme zu ersetzen.

Als Tiger abgesprungen, landete Uldall jedoch sprichwörtlich als Bettvorleger: Die Ausstiegsoption sei „nicht durchsetzbar“ gewesen, räumte der Senator vergangenen Dienstag bei der Vertragsunterzeichnung zwischen Senat und Arge kleinlaut ein.