Berliner Platten
: Weil Micz Flor sein Label als eine Art Familienbetrieb versteht, können auch Techno und träumender Pop miteinander. Aktuell im Angebot: Brüsseler Gitarrenarbeiten von [’aisikl]

[’aisikl] „Analogue Root“ (SueMi/Cargo)

An den Rändern neigt der Kapitalismus zum Irrationalen. Da, wo das Geschäft zur Liebhaberei hin ausfranst und trotzdem bezahlt werden muss. Musik auf old-fashioned Vinyl zum Beispiel wird meist immer noch billiger an den Kunden weitergegeben als eine CD, obwohl deren Produktionskosten niedriger sind. Was dann letztlich zur einfachen Rechnung wird. „Immer nur Miese schreiben ist schwierig“, weiß so Micz Flor und hat deshalb das Mischprodukt CD wieder ins Programm seines Berliner Einmann-Labels SueMi genommen.

Gegründet wurde das Label von Flor, der sein Geld eigentlich pendelnd mit Medienarbeit in Berlin und in Prag bei einer NGO für unabhängige Medien in Osteuropa und Asien verdient, im Frühjahr 2000 als Online-Label mit der Möglichkeit, die Produkte einerseits kostenfrei runterzuladen oder eben in Vinyl-Ausgaben zu kaufen.

Der erste Release war programmatisch eine Techno-Meditation von Ulrich Gutmair über ein Zitat des Philosophen Slavoj Žižek: „Once it’s in, it’s in. You can’t really get rid off it.“ Ein Geschäft mit Kleinstauflagen, aber doch auch mehr als nur die Beschwörung des Fetischcharakters gegenüber dem Cyberspace: mit einem Datenträger in der Hand ist man eben gegen jeden Festplattenabsturz gefeit. Das Vinyl wurde bei SueMi jetzt also wieder durch die CD ersetzt. Für Flor das „DIN A 4 der Musik“. Klein und flutschig im Format. Wer will, kann aber die Musik weiter gratis runterladen. Unter www.suemi.de findet sich ein heterogenes Angebot: Der traumschwelgende Pop von Dominique, der Band von Dominic Eichler, könnte dabei einigermaßen schroff gegen das Neudeutsche von Knallrot stehen. Aber so viel an eigener Präsenz muss schon sein bei einem Einmann-Label. Knallrot war die Band von Micz Flor zu Teenagertagen. Zu hören gibt es einen Live-Mitschnitt eines Konzertes 1983 in Zeilhard, Südhessen. Die Mütter der Bandmitglieder haben Kuchen gebacken, der Eintritt betrug harte 99 Pfennig.

Das neueste Produkt bei SueMi ist das Album „Analogue Root“ von [’aisikl], das so geschrieben schon ein wenig nach Prätention schmeckt. Das ist nicht einfach so ein Haudrauf wie bei einer dahergelaufenen The-Band. Das riecht nach Grafikdesignstudium, nach Bastelarbeit. Kunstverdacht. Was bei der Band aus Brüssel alles auch ein klein wenig mit im Album steckt, und wer mag, kann die in Songtiteln versteckte Verweise wie „For every solution, there’s a problem“ auf der kulturgeschichtlichen Pinwand an die passende Stelle (hier eine Lee-Hazlewood-Platte) heften.

Solche Spielchen machen ja schon ihren Spaß. Vor allem aber findet man bei [’aisikl] einen flauschigen Singer-Songwriter-Gitarrenpop mit Verehrung für den großen Zen-Meister des amerikanischen Fingerpicking, John Fahey. Und wer die Stimme von Nikki Sudden mag, wird auch hier mit der sanften Zurückhaltung im Gesang nicht unglücklich werden. Das Schöne an „Analogue Root“: die Nestwärme einer Nischenmusik, die sich ihre Leidenschaft noch gönnt. Liebhaberei. So was kann man hören.

THOMAS MAUCH