Readymades in der Kombifalle

Die Ausstellung „Jagdsalon“ im Kunstamt Kreuzberg zeigt in Videos, Fotos und Installationen, warum der Mensch noch immer gerne zur Angel oder anderen Waffen greift, wenn er Tieren begegnet. Oft ist es nur der Wunsch nach einer Trophäe

VON CORD RIECHELMANN

Die Vorstellung, dass sich die ersten Menschen in den Steppen Afrikas durch ihr enormes Aggressionspotenzial vom Grasesser zum Fleisch verzehrenden Jäger entwickelten und dadurch einen Entwicklungsschub durchmachten, der sie endgültig von den Affen trennte, gilt zwar als widerlegt. Tiere werden aber nach wie vor von Menschen gejagt, und der Glaube bleibt virulent, dass es sich bei dem menschlichen Bedürfnis, zu jagen, um einen vor der Steinzeit erworbenen, damals überlebenswichtigen „Trieb“ handelt. In der Ausstellung „Jagdsalon“ im Kunstamt Kreuzberg hallt die Konfrontation von modernen Lebensverhältnissen und jener uralten Verhaltensausstattung besonders bei dem englischen Künstler Guy Allott nach: Eher konventionell greift er in Zeichnungen die wissenschaftliche Rekonstruktion von frühmenschlichen Jägern und Sammlern auf. Andererseits projiziert Allott die alte Anordnung auf die Hochtechnologie, in dem er eine jagende Hundemeute auf einer durchs All sausenden Rakete abbildet.

Dass die Jagd heute selbst zu einem hoch technologisierten Unternehmen geworden ist, in dem nicht nur der auf der Farm gezüchtete, gebändigte und überwachte Löwe eine hochpreisige Ware ist, klingt in der Arbeit von Tue Greenfort an. Der dänische Künstler collagiert Ausrisse aus Jagd- und Angelbedarfskatalogen und stellt zwei hypermoderne Angeln dazu – wobei Greenfort nebenher auch die Abschusspreise etwa für Bären und Wildschafe dokumentiert.

Weil er seine Installation um das Angeln gruppiert, kann Greenfort die Jagd nicht nur in „natürlichen“ Lebensräumen, sondern auch in städtischen Siedlungen thematisieren. Angeln ist hier meist erlaubt, während die Jagd mit Schusswaffen nur in Ausnahmefällen genehmigt wird. Solche Ausnahmefälle werden oft in Verbindung mit so genannten Schädlingen und den von ihnen ausgehenden vermeintlichen oder wirklichen Bedrohungen akut. Julika Gittner hat nun auf der Basis der Ermittlung der tatsächlich in einem Londoner Stadtpark vorkommenden Ratten, Tauben und Kakerlaken eine Kombifalle gebaut, in der alle gleichzeitig gefangen werden könnten.

„Bestandsaufnahme“ heißt die Skulptur, der Titel verweist damit auch auf die Möglichkeit, die Häufigkeiten bestimmter Arten in bestimmten Gebieten mit der sozialen Lage des Stadtteils zu konnotieren. Tatsächlich hat man in England, nachdem die Füchse die meisten größeren Städte besiedelt hatten, ihre Zahl mit der politischen Orientierung der Bevölkerung korreliert und herausgefunden, dass Stadtteile mit hohen konservativen Stimmanteilen von Füchsen bevorzugt werden.

Doch der städtische Lebensraum als Fluchtpunkt vor der Jagd besonders von Wild wie Enten, Füchsen und Rabenvögeln bleibt in der Ausstellung mit Ausnahme eines Katalogtexts zum „Wild Trash“ von Ilka Becker eher unterrepräsentiert. Dafür wird aber in zwei herausragenden Arbeiten von Lenka Clayton und Mark Dion eines der wahrscheinlich vorherrschenden Motive, die Menschen zu Jägern werden lassen, nämlich die Trophäensammlung, bearbeitet. Clayton hat in einem Verbindungsgang zwischen zwei Räumen ausgestopfte Köpfe von Gams, Dammhirsch, Wildkatze, Reh und einigen weiteren Tieren an den gegenüberliegenden Wänden aufgehängt. Das Ensemble irritiert sofort, weil man die bekannten Köpfe so noch nie gesehen hat. Man sucht förmlich nach dem Grund und findet ihn auf dem Hinweisschild: Clayton hat die Trophäen in der Höhe der tatsächlichen Größe der Tiere aufgehängt, ganz unten die Katze. Man muss sich tief herunterbeugen, um ihr in die toten Augen zu sehen.

Bei Clayton sind die Trophäen Readymades und die Hängung der Witz, während Mark Dion auf seinen Filzbannern „Hunting Standards“ den abgebildeten Wildschweinkopf und den an den Hinterbeinen aufgehängten Fuchs im Übergang vom Leben zum Tod und dann zur Trophäe zeigt. Unter dem Schweineschädel und der Fuchsschnauze breitet sich eine rote Blutlache aus.

Auf den Prozess der Jagd selbst lässt sich die isländische Künstlerin Inga Svala Thorsdottir ein. Filmisch dokumentiert sie, wie sie archaisch mit einem Knüppel einen Kormoran erschlägt und weiter fortgeschritten Gänse mit dem Gewehr erlegt. Thorsdottir ist in der Ausstellung die Handarbeiterin der Jagd, die selbst tötet, die Beute zubereitet und dann isst. Den Vorgang bettet sie in ihr utopisches Stadtgründungsprojekt „Borg“ auf Island.

Nimmt man noch den DVD-Loop eines fliehenden Rehes von Anna Craycroft dazu, dann bietet „Jagdsalon“ eine künstlerische Auseinandersetzung mit fast allen Aspekten der Jagd. Was allerdings fehlt, ist der Blick auf die zumindest hierzulande die Jagd bestimmende Koppelung von Grundbesitz und Jagdrecht – und ihre Gegenfigur: den Wilderer.

„Jagdsalon“. Bis 19. 2. Di.–So., 12–18 Uhr, Kunstamt Kreuzberg, Mariannenplatz 2.