Applausordnung steht

Das Projekt TanzZeit in den Grundschulen ist schneller gewachsen als seine Finanzkraft. Ein Resümee

All die Grenzen, die Kindern und Lehrern das Leben erschweren, geraten in Bewegung

Kämpfen die Jungs? Prügeln die sich etwa da vorn auf der Bühne? Nein, was zuerst nach gemeinen Tritten und Überwurf über die Schulter aussieht, verwandelt sich auf der Bühne des Jugendkulturzentrums Pumpe in ein zwar kräftiges, aber auch stilisiertes Weitergeben von Bewegungsimpulsen. Auch die Mädchen der Grundschulklasse, die mit der Choreografin Hannah Hegenscheidt proben, sind nicht zimperlich. Die Faszination von Gewalt liegt in diesen Szenen, aber auch die Fähigkeit, auf die Ebene der Fantasie zu verweisen.

Der kurze Probenausschnitt war ein beeindruckender Moment am Ende der Pressekonferenz von TanzZeit – Zeit für Schulen. Bestätigte er doch das Resümee, das Livia Patrizi, Initiatorin des Projekts, nach der ersten Pilotphase ziehen konnte. Patrizi zählte einen ganzen Katalog von Schrecken auf, die Kindern und Lehrern das Leben schwer machen: Schüchternheit, Aggressivität, Bewegungsmangel, Konzentrationsschwäche, Sprachbarrieren – und in all das brachte der Tanzunterricht eine Bewegung, die gewohnte Muster langsam auflöste und den Kindern ermöglichte, sich selbst anders zu erleben. „Die schlimmsten Jungs sind plötzlich wie ausgewechselt“, schwärmte Evelin Siebler-Morling, Elternvertreterin. Und Schulleiterin Ursula Schmidt-Eichstaedt fügte hinzu: „Alle Inhalte, die das ‚soziale Lernen‘ gewährleisten soll, werden in der TanzZeit erfüllt.“

Die gute Resonanz ist für die Initiatorin ein Erfolg, natürlich, markiert aber auch ein Problem. Denn das Projekt wuchs schneller als die finanziellen Ressourcen. Im August 2005 startete das Projekt, 1.000 Kinder, 37 Klassen an 25 Schulen konnten teilnehmen, 50 Schulen stehen auf der Warteliste. 42 Künstler, Tänzer und Choreografen haben an den Schulen gearbeitet. Aufführungen wurden besucht und Kulturbetriebsluft geschnuppert.

Sasha Waltz, die in der Klasse ihres Sohnes unterrichtet, hat jetzt die Schirmherrschaft für TanzZeit übernommen. „Als Choreografin“, stellt sie fest, „war das für mich ein ziemlicher Lernprozess. Schon der Geräuschpegel war gewöhnungsbedürftig, und erste Pläne musste ich ganz schnell loslassen. Aber dafür habe ich viel mehr gelernt, auf die Dynamik und Stimmungen zu hören.“ Sich eine große Portion Realität abzuholen, ist eines der Motive, die das Projekt für die teilnehmenden Künstler interessant macht.

Von anderen Kulturangeboten für Schüler unterschied TanzZeit die Größe und vor allem, dass die Stunden Teil des Regelunterrichts waren. Besonders an Schulen mit einer stark gemischten kulturellen Herkunft war das wichtig, um die sonst getrennten Jungen- und Mädchencliquen zusammenzukriegen.

Aber genug der pädagogischen Wunder. Denn den Tanz jetzt mit zu hohen Erwartungen zu belasten, ist einer der Fehler, die man dem Projekt nicht antun sollte. Die Pilotphase wurde mit einem Finanzzuschuss der Kultur-, logistischer Hilfe der Bildungssenatsverwaltung und Geld von Elternvereinen gestemmt.

Ein halbes Jahr Unterricht war schön, aber der Sinn der Investition würde sich durch eine Verlängerung verbessern. Bis Sommer 2006 ist die Fortführung durch die Eigenbeteiligung der Eltern gesichert, die ungefähr zwölf Euro im Monat dafür zahlen müssen. Bis Dezember 2006 deckt eine Förderung der Kultursenatsverwaltung einen Teil der Stunden. Nach einer Dauerfinanzierung wird weiter gesucht. Und da ist es ermüdend, sagt Livia Patrizi, zwischen den Referaten von Kultur und Bildung hin und her geschoben zu werden.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Heute (ab 9 Uhr) und morgen (ab 13 Uhr) zeigen die 25 Klassen kurze Aufführungen im Jugendkulturzentrum Pumpe, Lützowstraße 42.