Die Verwandlung des Blechs

In Berlin arbeiten viele Designer mit kleinen Manufakturen zusammen. Sie entwickeln neue Produkte fürs alte Handwerk. Die Metalldrückerei Bräuer zum Beispiel fertigt futuristische Kuchenformen

Was früher vielleicht für eine Zentrifuge gebraucht wurde, wird nun zu einer heiter geschwungenen Kuchenform

VON WALTRAUD SCHWAB

Der Treppenaufgang zur Metalldrückerei Hugo Bräuer in einem Neuköllner Hinterhof verleugnet seine hundertjährige Fabrikgeschichte nicht. Die gefliesten Wände zeigen Risse, die Betonstufen sind von einem Metallgeländer flankiert, dessen Oberfläche nicht glatt, sondern rau geworden ist von der Zeit.

Vor 99 Jahren zog Bräuer mit seinem Handwerksbetrieb in die dritte Etage der Hinterhoffabrik. Dort ist sie noch heute. In jedem Winkel ist das Alte zu spüren. Das Mobiliar hat die Farbe des Metalls angenommen, das die vielen Handwerkerhände, die darüber gefahren sind, dort zurückgelassen haben. Dass ausgerechnet hier eine Keimzelle des Berliner Designs sein soll, erschließt sich auf den ersten Blick nicht. Dabei verbirgt sich genau so ein Geheimnis zwischen den Dreh- und Drückbänken, den Metallschneidern und Bohrern, zwischen den Regalen, die vollgestopft sind mit Holzmodellen aller Art – zylindrisch, kegelförmig, gewellt, konkav, konvex, aber immer rund –, zwischen den Aluminium- und Kupferblechen, dem feinen abgedrehten Metallschrott, der in alten Holztonnen lagert und aussieht wie Engelshaar.

Heute wird der Betrieb von Thomas Bräuer, dem Urenkel des Firmengründers geleitet. Metalldrücker in vierter Generation ist er. Seine Blütezeit hatte der Beruf, als runde Gegenstände wie Kannen, Schalen oder Töpfe nicht mehr länger mit der Hand, aber noch nicht in großen Press- oder Gussmaschinen hergestellt wurden. Gießkannen, Milchkannen, Vasen, Lampenschirme, Eichgeräte, medizinisches Equipment – alles was rund, aber ohne Schweiß- und Lötnaht sein muss, wird von den Metalldrückern an ihren Arbeitsbänken hergestellt. Rotierend und mit Drückrollen und Körperkraft werden die Bleche dabei über ein vorher gefertigtes Holzmodel getrieben. „Früher waren wir Zulieferer für AEG, fürs Siemens-Kabelwerk – und fürs Röhrenwerk auch“, erzählt der Enkel des Firmengründers, Horst Bräuer, der Vater des heutigen Chefs. Teile für die Fernsehröhren habe seine Firma gebaut. Aber meistens hätten sie nicht gewusst, wofür das, was sie machten, gebraucht wird. Dass es die kleine Manufaktur heute noch gibt, hat was damit zu tun, dass die Metalldrückereien in der DDR nach der Wende geschlossen wurden. „Bräuer, für uns ist Ende“, sollen die Kollegen im Osten zu ihm gesagt haben.

Metalldrücker werden derzeit vor allem bei der Entwicklung von Prototypen jener Dinge gebraucht, die später in die Massenfertigung gehen. Außerdem produzieren sie, was nur in kleineren Stückzahlen geordert wird. „Trotzdem sitzen wir hier manchmal im Büro und fragen uns, woher die Aufträge in zwei Wochen kommen“, erzählt der Jungchef.

Aber die Bräuers sind offen für neue Ideen. Vor drei Jahren erhielten sie ein Fax von Sebastian Summa, Designstudent an der Fachhochschule Potsdam. Er schlug ihnen vor, im Rahmen eines Projektseminars den Versuch zu starten, neue Produkte und Vertriebswege zu finden. Herausgekommen ist eine Reihe von Backformen, die das Aussehen von Kuchen auf den Kopf stellen. Futuristisch und altmodisch in einem wirken sie, und dennoch tragen sie die Spuren des Handwerks durch und durch in sich.

Sebastian Summa studiert bei Oliver Vogt und Hermann Weizenegger. Die beiden Berliner Designer sind die Väter der Idee, Manufakturbetriebe, die in der Stadt noch produzieren, mit jungen Gestalterinnen und Gestaltern zusammenzubringen. Davon profitieren alle. Denn die Vertreter beider Berufsgruppen führen mitunter prekäre Existenzen.

Auf den Gedanken kamen „Vogt + Weizenegger“, die ihr Büro in der Oranienstraße hatten, weil sie immer wieder an der dortigen Blindenanstalt vorbeigingen, in der seit über 120 Jahren die ewig gleichen Bürsten gemacht und Körbe geflochten werden. Da solche Waren heute sehr viel billiger in Asien hergestellt werden können, strahlte die Einrichtung und deren Laden ein trauriges Flair aus.

Vogt und Weizenegger gelang es, das zu durchbrechen. Sie holten DesignstudentInnen in die Einrichtung. Sie sollten herausfinden, wie die Behinderten arbeiteten und wie die Produktpalette so erweitert werden kann, dass deren Arbeit wieder als etwas wahrgenommen wird, was seine Mühe wert ist. Vogt und Weizenegger nannten das Projekt „Die imaginäre Manufaktur“.

Besen, Fußmatten und Bürsten stehen in der Hierarchie der Gebrauchsgegenstände ganz unten. Die DesignstudentInnen sowie die renommierten EntwerferInnen, die Vogt und Weizenegger für das Projekt ebenso ansprachen, sprengten den Bürstenrahmen. Durch minimale konzeptionelle Eingriffe werden Topfkratzer, Schuhbürsten oder Besen nun zu Bilderrahmen oder Schmuckkästchen, zu Obstnestern, Bürstenbällen oder zu Kruzifixen, an denen man sich sein Kreuz kratzen kann. Die Designer und Designerinnen geben den Dingen des Alltags Charme: Aus Spülen wird Spielen, aus Streichen wird Streicheln, aus einer Bürste für den Nacken wird eine zum Necken. Die neuen Objekte vertreiben sie auf internationalen Designmessen.

Vogt und Weizenegger verstehen Design politisch. Es muss auf wirtschaftliche Entwicklungen reagieren. Neue Wege zu finden in Zeiten, in denen dem Handwerk die traditionellen Märkte verloren gehen, könne eben auch eine gestalterische Aufgabe sein. Um so was möglich zu machen, müssen Energien gebündelt werden. Deshalb gelten „Vogt + Weizenegger“ auch als große Vernetzer in Berlin. Die Forcierung des jährlich stattfindenden Festivals „Designmai“ geht maßgeblich auf ihr Konto.

In ihren Seminaren an der Universität der Künste und der Potsdamer Fachhochschule regten Vogt und Weizenegger an, die Idee der imaginären Manufaktur auszuweiten. Die Studenten sollten Handwerksbetriebe in Berlin suchen, die zu einer Zusammenarbeit bereit waren. So spürte Sebastian Summa, der selbst Kunstschlosser gelernt hat, die Metalldrückerei in Neukölln auf. „Die Nasen passten“, sagt Bräuer senior. Soll heißen, man war sich schnell sympathisch. Summas erstes Objekt: eine Lampe, die in ihrer Form den Herstellungsprozess thematisiert. Obwohl im Kern rund, sieht man, dass sie aus einer quadratischen Metallfläche gefertigt ist.

Die Kuchenformen waren sein nächstes Projekt. Er hat sie zusammen mit dem isländischen Designer Hrafnkll Birgisson entwickelt. Eigentlich gab es gar nichts zu entwickeln, es war ja alles schon da. Nur musste es noch gefunden werden. Summa und Birgisson hatten sich mit den Köchinnen des Kochstudios „Kochlust“ zusammengetan, auf der Suche nach der idealen Backform. Als sie die alten Holzmodel im hinteren Lagerraum sah, sagte sie, „da sind doch lauter Kuchen“. Die Designer brauchten nur die schönsten Modelle heraussuchen, die Metalldrücker sie fertigen. Was früher vielleicht für eine Zentrifuge gebraucht wurde, wird nun zu einer heiter geschwungenen Kuchenform. Was vielleicht Vorlage für ein Zierstück an einer Gaslaterne war, wird nun zu einer für einen Rundtreppenkuchen.

Um die Kuchenformen zu vermarkten, kam den Designern der Kontakt zu einem isländischen Konditor bei Harrod’s, demTopkaufhaus in London, zugute. Leider gebe es diese internationale Island-Connection nicht mehr. Derzeit wird überlegt, ob nicht ein eigenes Backbuch damit gestaltet werden kann. Denn die eigenwilligen Kuchenformen laden dazu ein, sich neue Rezepte auszudenken. In den Hohlformen etwa könnte sich das besonders Leckere ergießen – Marzipanflüsschen oder Schokoladenrinnsale. Die Türme wiederum laden zum mehrfarbigen Teigmäandern ein.

Anders als die Metalldrücker, die viel Wert darauf legen, dass sich die Maserung des Holzmodels nicht im Metall abdruckt, favorisieren die Designer diesen Aspekt. Das mache das Produkt unverwechselbar, sagt Summa. Beim nächsten Produkt soll es im Vordergrund stehen.

Die Bräuers jedenfalls lassen dem Designer freie Hand. „Wir sind die Ausführenden.“ Noch haben sie nicht selbst zum Entwurfblock gegriffen.

www.hugo-braeuer.de